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Neue Texte nah am Siedepunkt

Die Lange Nacht der Au­to­r:in­nen am DT wartete mit schweren Themen auf. Überzeugt hat besonders das Zungenbrecheruniversum um Fischer Fritz

Amal Keller ist Fri in Raphaela Bardutzkys „Fischer Fritz“ Foto: Rolf Arnold

Von Tom Mustroph

Theater besitzt noch Anziehungskraft. An einem der bislang heißesten Tage dieses Jahres war der Vorplatz des Deutschen Theaters ringsum die Max-Reinhardt-Büste gut gefüllt. Die Schlangen vor Würstchenstand und Getränkeausgabe waren lang. Aber auch das fröhliche Reden über Theater war sehr vielstimmig und frisch trotz der drückenden Hitze. Die Au­to­r:in­nen­thea­ter­ta­ge lockten nun schon zum 25. Mal. Die drei Gewinnertexte waren an einem langen Abend in kompletten Inszenierungen zu sehen.

Und so drängte man sich dann in die Schwitzbude der Box und kühlte sich später in den besser klimatisierten Räumen von Kammerspiele und Großem Saal wieder ab.

Trotz nachlassender Konzentrationsfähigkeit erwies sich ausgerechnet das letzte Stück, „Fischer Fritz“ als gut. Das lag zum einen am munteren Sprachwitz der Autorin Raphaela Bardutzky. Zum anderen fand Regisseur Enrico Lübbe auch geeignete Umsetzungsideen zu dessen Transport. Drei Spielerinnen, allesamt in weiße Kittel gekleidet, tragen gemeinsam mit dem Musiker Philipp Rumsch, der im DJ-Stil Elektronikfetzen durch das Boxensystem jagt, die Aufführung. Die weißen Kittel können Dienstkleidung von Me­di­zi­ne­r*in­nen oder Pa­ti­en­t*in­nen­zi­vil sein, dann wieder Morgenmantel zu Hause oder Pflegerinnendress. Amal Keller, Julia Preuß und Mira Faifer tauchen zunächst gleichberechtigt ins Zungenbrecheruniversum des Fischers mit den frischen Fischen ab. Daraus kristallisieren sich Figurenkonstellationen heraus. Keller wird zum alternden Fischer, dessen Feinmotorik rauer wird, sodass er nicht mehr fischen kann und von Sohn Franz zum Heimaufenthalt überredet wird.

Der alte Herr wehrt sich dagegen. Die Sturheit und Bockigkeit dieser Figur drückt Keller mit kargem Reden, abwehrendem Blick und kompakter Körperhaltung derart überzeugend aus, dass man sich fragt, wie im Theater überhaupt nur der Diskurs der repräsentativen Besetzung nach Kriterien wie Geschlecht, Lebensalter oder Herkunft entstehen konnte. Nein, diese Schauspielerin noch unter 30 bringt sowohl die knorrige Lebensverweigerungshaltung dieses Alten jenseits der Schlaganfallgrenze als auch dessen unter der harten Abwehrschale steckende Verletzlichkeit so stark zum Ausdruck, dass ein Mitfiebern mit dieser Figur trotz aller ihrer Makel ganz unausweichlich wird.

Stück und Inszenierung tippen mit eher leichter Hand schwere Themen an. Um Abschiebung der Alten geht es, um migrantische Ausbeutungszenarien – bei Fritz zieht die polnische Pflegerin Piotra ein. Noch größer wird dieses Panorama in dem Moment, in dem Franz die Parallelen zwischen Piotra und der jungen ukrainischen Zwangsarbeiterin auffallen, die während der NS-Zeit im Dorf arbeitete und Ziel der Begierden der gesamten männlichen Dorfjugend war. Da mischt sich unversehens auch der aktuelle Ukrainekrieg hinein, der ohnehin sehr nahe ist an diesem Deutschen Theater. Nur ein paar Schritte entfernt ist die ukrainische Botschaft in Berlin.

Die beiden anderen Texte ließen die Leichtigkeit von „Fischer Fritz“ beim Umgang mit den schweren Themen vermissen. „Das Augenlid ist ein Muskel“ von Alexander Stutz näherte sich zwar ganz einfallsreich über sprechende Körperteile wie Auge, Magen und sogar Muttermale dem schrecklichen Dauererlebnis von Vergewaltigung in Kinder- und Jugendjahren des Protagonisten Aaron an. Trotz aller Schleifen, Um- und Abwege war das Ziel von Text und Spiel aber früh erkennbar. Man wartete, gegen die drückende Schwüle der Box ankämpfend, bis das Spiel in die Zielgerade eingebogen war, und war allenfalls ein wenig irritiert davon, wie sehr die Aaron-Figur ihr zeitweises Einverständnis in die Sexspiele des wesentlich älteren Cousins problematisierte. Mitschuld des Opfers – das ist kontaminiertes Terrain.

Unversehens mischt sich auch der aktuelle Ukrainekrieg hinein, der ohnehin sehr nahe ist an diesem Deutschen Theater

Klarer war da schon der dritte Text. Ein Nein sei Nein, immer, belehrt in „Judith Shakespeare: Rape and Revenge“ die titelgebende Dramatikerin Judith Shakespeare ihren ebenfalls Dramenliteratur verfassenden Bruder William. Der originale William nahm es, so schreibt es jedenfalls Autorin Paula Thielecke, bei seinen sexuellen Verlustigungen mit diesem Nein des Öfteren nicht so genau. Einen schönen Effekt hat Thielicke immerhin vorgesehen. Dramaturgin Karla Mäder betritt die Bühne und liest einen Text der Plattform Nachtkritik vor, in dem sich Shakespeare für die Vielzahl der durch ihn begangenen Vergewaltigungen und Belästigungen zu entschuldigen versucht und alle seine Stücke zurückzieht.

Nachtkritik hat diesen Text leider noch nicht hochgeladen. Die Brisanz für den aktuellen Theaterbetrieb und dessen eher zögerliche #MeToo-Dynamik entschärft Regisseurin Christina Tscharyiski leider, indem sie das gesamte Theaterpersonal in historisierende Mittelalterkostüme steckt. Thielicke hat ein Aufklärungsstück in erster Linie für heutige Intendanten, Chefdramaturgen und Besetzungsjurys verfasst. Zur Qualität eines Lehrstücks brechtscher Prägung – auch so ein Frauenausbeuter – müssten allerdings noch ein paar dialektische Wendepunkte mehr eingebaut werden.

Immerhin: Die Au­to­r:in­nen­thea­ter­ta­ge zeigten, die alte Kunstform ist noch nicht tot. Sie findet Publikum, sie findet Menschen, die neu für sie schreiben und die sie sogar für relevant halten.

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