Entscheidungsschlacht um Sjewjerodonezk

Die Ukraine meldet Erfolge bei der Gegenoffensive zur Rückeroberung der Stadt im Donbass

Von Dominic Johnson

Gut 100 Tage nach Kriegsbeginn konzentrieren sich die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine auf den ostukrainischen Ort Sjewjerodonezk. Seit Wochen wird die einst über 100.000 Einwohner zählende Stadt von russischen Truppen belagert und wurde vergangene Woche fast komplett eingenommen. Am Pfingstwochenende eroberte die Ukraine nach eigenen Angaben rund die Hälfte von Sjewjerodonezk sowie die östliche Vorstadt Metalkyne zurück. Wie es hieß, habe man die russischen Fronteinheiten praktisch in eine Falle gelockt, um sie dann von ihrem Nachschub isolieren und zerstören zu können. Ob die Rückeroberungen von der Ukraine gehalten werden können, war am Montag unklar.

Für beide Länder gilt die Schlacht um Sjewjerodonezk als Symbol für die größere Schlacht um den Donbass. Beide berichten vom massiven Einsatz von Luftwaffe und Artillerie. Die mittlerweile fast komplett zerstörte und entvölkerte Stadt bildet zusammen mit dem Nachbarort Lyssytschansk das letzte noch ukrainisch kontrollierte Gebiet im ostukrainischen Bezirk Luhansk. Wie wichtig es der Ukraine ist, einen kompletten Verlust dieses Bezirkes zu verhindern, zeigte sich am Pfingstsonntag, als Präsident Wolodimir Selenski den Truppen nahe Sje­wjerodonezk einen Besuch abstattete.

Der ehemalige russische Donbass-Separatistenführer Igor Girkin, der Russlands Kriegsführung schon lange als ineffizient kritisiert, analysierte am Wochenende, keine Seite könne sich in Sjewjerodonezk eine Niederlage leisten. „Eine Einkreisung der Ukraine wird für sie zu einer schweren Niederlage führen, sowohl im militärischen als auch im politischen Sinne. Ein Scheitern der Einkreisung wird die russischen Befehlshaber damit konfrontieren, dass sie nicht einmal einen Teil des Feindes im Donbass besiegen konnten.“ Begleitet wird die Intensivierung der Kämpfe im Osten von andauernden ukrainischen Vorstößen nordöstlich von Cherson im Süden des Landes.

Westliche Länder verstärken derweil ihre Unterstützung der Ukraine. Deutschland schickte Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach Odessa. Großbritannien will Mehrfachraketenwerfer mit 80 Kilometer Reichweite schicken. Am Sonntag hatte Präsident Putin angekündigt, neue Ziele anzugreifen, wenn der Westen der Ukraine Raketen mit größerer Reichweite liefere. Am selben Tag schlugen russische Raketen zum ersten Mal seit April in Kiew ein. Nach ukrainischen Angaben wurde ein Eisenbahnwerk getroffen.