Gabriel muss auf Bewährung nach Berlin

Der frühere niedersächsische Ministerpräsident legt heute den SPD-Fraktionsvorsitz im Landtag nieder, um in den Bundestag zu wechseln. Den Abschied aus Hannover vollzieht der glücklose Oppositionsführer keineswegs freiwillig

HANNOVER taz ■ Der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner wird heute auch den Vorsitz der Landtagsfraktion übernehmen und damit den glücklosen Sigmar Gabriel als Oppositionsführer ablösen. Der rhetorisch gewandte und manchmal auch grobe Gabriel will nach der geplanten Neuwahl des Bundestags die Berliner Politszene beglücken.

In Hannover folgt ihm mit dem früheren Umweltminister Wolfgang Jüttner ein Politiker seriöseren Typs nach. Jüttner, einst ein enger Weggefährte Gerhard Schröders aus Juso-Zeiten, ging zum Bundeskanzler Schröder auf Distanz, als dessen Politik zunehmend alles Sozialdemokratische vermissen ließ. Offenbar wurde das Zerwürfnis Ende 2003 auf dem Bochumer Bundesparteitag der Sozialdemokraten, auf dem Schröder seinem SPD-Landeschef vor aller Ohren drohte: „Euch mache ich fertig.“ Heute ist Schröder lange nicht mehr SPD-Vorsitzender, und Jüttner kann sagen, die Drohung des Kanzlers auf dem Bochumer Parteitag habe ihm „zumindest nicht geschadet“.

Ende vergangener Woche hat der niedersächsische SPD-Landesvorstand Jüttner einstimmig als neuen Chef der SPD-Landtagsfraktion empfohlen und zugleich die Reihenfolge auf der niedersächsischen SPD-Bundestagsliste festgelegt. Auf Platz eins der Liste soll wieder der Bundeskanzler stehen, ihm folgen Bildungsministerin Bulmahn, Verteidigungsminister Struck, eine noch nicht benannte Kandidatin und auf Platz fünf dann Sigmar Gabriel.

Der hatte zum Abschied in Hannover noch einmal angeeckt. Als Gabriel seine Bewerbung um ein Bundestagsmandat ankündigte, kritisierte er zugleich die Absicht von Jüttner, bei der Niedersachsenwahl 2008 als Spitzenkandidat anzutreten. Gabriel verlangte einen jüngeren Kandidaten, der auch bei der übernächsten Wahl 2013 noch einmal ins Rennen gehen könne. Jüttner kann sich mittlerweile in Niedersachsen für 2008 durchaus Chancen ausrechnen, falls es im Bund tatsächlich zum Machtwechsel kommt und enttäuschte CDU-Wähler wieder zur Opposition überwechseln. Auf Gabriel warten in Berlin aller Voraussicht nach lange Oppositionsjahre.

Sein Abschied aus Niedersachsen vollzog sich keineswegs freiwillig. Schließlich geht nicht nur die desaströse SPD-Niederlage bei der niedersächsischen Landtagswahl 2003 zu großen Teilen auf sein Konto. Ihm wird auch die Affäre um Gehaltszahlungen des VW-Konzerns an SPD-Abgeordnete angelastet, die zum Jahreswechsel bundesweit die CDU wieder in die Offensive und die SPD ins Hintertreffen brachte. Gabriel vermochte als Chef der Landtagsfraktion die Angelegenheit nicht zu bereinigen. Er konnte die beiden Abgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen nicht zu einem Mandatsverzicht drängen.

Wie sich später herausstellte, hatte sich sogar Gabriel selbst mit Hilfe von Volkswagen einen Nebenverdienst verschafft. Zwar war die freiberufliche Beratertätigkeit des ehemaligen Ministerpräsidenten und VW-Aufsichtsrats Gabriel nur anrüchig und nicht rechtswidrig. Dennoch reichte sie aus, um Gabriel als künftigen niedersächsischen SPD-Spitzenkandidaten unmöglich zu machen. JÜRGEN VOGES