berliner szenen
: Die Ehe ist nichts für Feiglinge

Die alte Dame begleitet uns durch die Ausstellung im Bröhan-Museum: Hannah Höch, „Abermillionen Anschauungen“. Sie trägt eine Baskenmütze über dem grauen Pagenkopf und bewegt sich gebeugt mit kleinen unsicheren Schritten. Ihre Haltung ist entschuldigend, als würde sie im Weg stehen oder anderen die Sicht nehmen, aber ihr Blick ist wach. Sie tritt nah an die Stücke heran und betrachtet sie genau.

Im Profil sieht sie selbst aus wie Hannah Höch. Die gleiche Nase, der gleiche nackte Blick mit den geschwollenen Ringen unter den Augen. Vor einem Bild mit dem Titel „Die Braut (Pandora)“ sieht sie mich an. Das Bild zeigt ein Brautpaar. Der Blick des Bräutigams ist gefasst, der Kopf der Braut ein überdimensioniertes Kindergesicht, das staunend und ein bisschen ängstlich auf die das Paar umfliegenden Symbole schaut. Mir fällt ein tränendes Auge und ein mit einem Stein beschwertes Herz auf. Mit Flügeln. Die alte Dame zeigt auf einen Apfel mit einer Schlange unten links und sagt: „Das ist interessant. Ein ganz altes Motiv.“

„Der Sündenfall“, nicke ich.

Ein anderes Paar stellt sich zwischen uns. Das irritiert die alte Dame. Ohne die beiden anzusehen, versucht sie hinter ihnen zu uns zu gelangen, schließlich huscht sie vor dem Bild entlang und murmelt: „Entschuldigung, ich muss da eben noch mal was …“ Dann stellt sie sich neben mich und sagt mit eindringlichem Blick: „Die Ehe ist nichts für Feiglinge.“ Sie guckt, als sollte ich mir das unbedingt merken, und geht dann weiter mit kleinen Schritten.

Später im Schlosspark sehen wir ein Hochzeitspaar. Sie lassen sich vor den Treppen des Charlottenburger Schlosses fotografieren und lächeln in die Kamera. Ich denke an die alte Dame und hoffe für die beiden, dass sie keine Feiglinge sind.

isobel markus