„Postgender klebt an uns wie Kaugummi“

DISKRIMINIERUNG Piraten als Frauenschreck? Julia Schramm aus dem Bundesvorstand über Sexismus in der Partei und Piraten mit Brüsten

■ Schramm (26) hat Politik, Amerikanistik und Staatsrecht in Bonn studiert. Seit April 2012 ist sie im Bundesvorstand der Piraten.

taz: Frau Schramm, im April kritisierten die Jungen Piraten (JuPi) in einem offenen Brief sexistische Aussagen in der Piratenpartei, wie: Frauen seien zu hübsch, um ernst genommen zu werden. Frau Schramm, sind Sie zu hübsch?

Julia Schramm: Frauen müssen entweder polarisieren, oder sie werden in unserer Mediendemokratie sexualisiert. Ich polarisiere genug.

Was ist denn dran am Vorwurf der Jungen Piraten?

Der Brief war ein Aufschrei. Frauen werden in unserer Gesellschaft grundsätzlich diskriminiert. Das ist bei den Piraten, die aus der männergeprägten IT-Branche kommen, nicht anders. Gerade der Ton und die Art, online miteinander umzugehen, kann Frauen erst mal abschrecken – besonders, wenn sie von den Medien mit dem Begriff Sexismus verknüpft werden. Ich finde gut, dass die JuPis sagen: Wer die Gesellschaft ändern will, der muss vor der eigenen Haustür kehren. Deshalb habe ich den Brief unterstützt. Unfair ist allerdings, dass wir Piraten auf Sexismus festgenagelt werden, nur weil wir transparent mit unseren Problemen umgehen.

Also sieht es bei anderen Parteien auch nicht besser aus?

Nein, sieht es nicht. Bei den Grünen gibt es sicherlich eine andere Tradition der Frauenförderung, das lädt die eine oder andere politisch aktive Frau mehr ein. Aber wenn man sich die SPD anschaut, die noch nie eine Kanzlerkandidatin oder Parteichefin hatte, dann kann man sehen, dass Frauen dort wenig Chancen haben – trotz Quote.

Demnach herrschen bei der CDU mit Frau Merkel traumhafte Verhältnisse?

Es gibt bei der CDU erstaunlich viele präsente Frauen. Damit ist die CDU weiter als die SPD. Das begrüße ich. Aber ein politisches Vorbild für uns sind sie natürlich nicht.

Welche Rolle spielen denn Frauen bei den Piraten?

Bei uns werden Frauen von der Verantwortung nicht ferngehalten, zwei der neun Mitglieder des Bundesvorstandes sind Frauen, auf anderen Ebenen gibt es viele Frauen in verantwortungsvollen Positionen. Ich denke, wir haben es bezüglich der politischen Arbeitsstrukturen bei den Piraten sogar einfacher. Die Arbeit über das Internet erleichtert den Zugang für Frauen, weil keine physische Anwesenheit erforderlich ist. Davon profitieren besonders alleinerziehende Mütter.

Das klingt aber nicht sehr nach postgender?

Niemand bei den Piraten sagt ernsthaft, dass wir postgender seien! Dieses Wort ist 2010 in einem Gespräch der taz mit dem damaligen Bundesvorsitzenden der Piraten, Jens Seipenbusch, gefallen und klebt seitdem an uns wie Kaugummi. Richtig ist, dass wir den binären Geschlechtercode beseitigen wollen, so dass Menschen nicht mehr über ihr soziales Geschlecht definiert werden. Postgender ist eine Vision.

■  Fünf garantiert (noch) legale Tipps für den Medienkonsum im Netz:

■ Einfach nur mitsingen: Begeisterung bei einem Konzert ist schön. Das Erlebte ungefragt filmen und im Netz teilen ist aber nicht erlaubt.

■ Mitschneiden statt Downloaden: Zwischen Plattenladen und illegalem Musik-Download gibt es viele Facetten. Web-Radios gibt es inzwischen viele. Das Mitschneiden ist erlaubt und erweitert die Musiksammlung.

■ Freunde einladen: Es gibt auch legale Tauschbörsen für Musik (z. B. ciiju.de) – Mitglieder werden auf Einladung hinzugefügt und jedes Lied darf nur siebenmal geteilt werden.

■ Filter einrichten: Vorsicht vor Bildern im Netz! Generell unterliegen sie dem Urheberrecht. Bei Google kann man einen Filter einrichten – gefunden werden nur lizenzfreie Bilder, die kopiert werden dürfen.

■ Nur angucken, nicht anfassen: Es gibt Youtube-Videos, die ohne Erlaubnis verbreitet werden. Diese anzugucken ist nicht illegal. Sie ebenfalls zu verbreiten schon. Also nicht auf Facebook teilen oder in Blogs einbinden. Marie-Sophie Rudolph

Haben Sie einen Masterplan?

Es wäre vermessen, zu denken, dass ich den Masterplan hätte. Das ist ein Prozess. Wir sind uns über den Weg nicht einig, aber über das Ziel. Wir bewegen uns noch auf der theoretischen Ebene: Was ist Sexismus? Was Feminismus? Welche Rolle spielen Intersexuelle? Wir sind seit einem Jahr dabei, für Gender-Fragen zu sensibilisieren. Und das auch recht erfolgreich.

Hand aufs Herz: Nennen Sie sich Pirat oder Piratin?

Das ist unterschiedlich. Manchmal nenne ich mich Pirat, um die Geschlechterrollen zu dekonstruieren. Ich bin ein Pirat, habe ein Kleid an und Brüste. So emanzipiere ich mich auf, zugegeben, sehr plakative Art und Weise.INTERVIEW: TATJANA LITTIG HENRIK GÜNTHER