Bund besteht auf den Beton

Der Berliner Senat will den Weiterbau der Stadtautobahn A100 nach Möglichkeit verhindern. Aber Autobahnen baut der Bund, wie sie ihm in den Kram passen

Bei Mobilitätswende-AktivistInnen, aber auch beim rot-grün-roten Senat löste dieser Beton-Vorstoß Reaktionen von Ungläubigkeit bis Entsetzen aus

Von Claudius Prößer

Eigentlich schien alles halbwegs klar zu sein, als SPD, Grüne und Linke Ende 2021 in Berlin ihre Koalition um fünf Jahre verlängerten: Der umstrittene, in Arbeit befindliche 16. Bauabschnitt der Stadtautobahn A100 sollte zu Ende gebracht und halbwegs dezent ans übrige Straßennetz angedockt werden. Der noch umstrittenere und bislang lediglich als Konzept existierende 17. Bauabschnitt, der den unvollständigen Innenstadtring noch etwas weiter schließen würde, sollte in der Schublade bleiben. So steht es im Koalitionsvertrag.

Es war dann auch gar nicht die traditionell autofreundliche SPD, die für den „17. BA“, wie das Zukunftsteilstück bei PlanerInnen und AktivistInnen gleichermaßen heißt, Ende März die Schublade wieder öffnete – sondern das Bundesverkehrsministerium als Bauherrin aller deutschen Autobahnen. Den Satz „Es wird weitergebaut“ verkündete die Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Daniela Kluckert in einem Zeitungsinterview, in ihrer Funktion als parlamentarische Staatssekretärin von Parteifreund und Verkehrsminister Volker Wissing.

Die „Investition in Millionenhöhe“ – so Kluckert über das 4,1-Kilometer-Teilstück, das aufgrund der komplizierten Lage durchaus die Milliardengrenze reißen könnte – lohne sich. „Wichtige Stadträume“ würden „von Verkehr entlastet und zusammengeführt“, wenn man die A100 in den östlichen Bezirk Friedrichshain verlängere. Damit begründete die Staatssekretärin, dass die bundeseigene Autobahn GmbH zeitgleich ganz offiziell die Planungsleistungen für den Bauabschnitt über ihre Vergabeplattform ausschrieb. Bis 2025 soll nun die exakte Linienführung ausgetüftelt werden, inklusive Brücke über die Spree und Tunnel unter dem Regionalbahnhof Ostkreuz.

Bei den vielen Mobilitätswende-AktivistInnen Berlins, aber auch beim rot-grün-roten Senat löste dieser Beton-Vorstoß Reaktionen von Ungläubigkeit bis Entsetzen aus. „Geradezu unanständig im Angesicht der humanitären Katastrophen, die uns die Klimakrise und der Krieg in der Ukraine bescheren“, fand Inge Lechner vom Verein Changing Cities – der zusammen mit dem ADFC und anderen umgehend eine Fahrraddemo dagegen organisierte. Die grüne Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch sprach auf einem Parteitag von der „unfassbaren politischen Blindheit“ des Bundesverkehrsministers und beruhigte die Basis hinsichtlich des Weiterbaus mit den Worten „Das wird nicht passieren“.

Leicht gesagt, denn der 17. Bauabschnitt steht „mit Priorität“ im Bundesverkehrswegeplan und hat damit quasi Gesetzescharakter. Was und wie der Bund an Autobahnen plant und baut, daran kann der Senat im Prinzip nicht rütteln – wobei es Neuigkeitswert hätte, würde ein solches Projekt gegen den Willen einer Landesregierung durchgezogen. Aber die FDP möchte eben auch mal in der Hauptstadt eine Marke setzen, wo sie in der Opposition sitzt und ganz wild auf Autobahnen ist.

In der Vergangenheit war es immer die SPD, die im Mitte-links-Spektrum den Part der Betonfraktion spielte. Dass sich auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey über den Vorstoß der Bundesregierung ärgerte, hatte wohl auch mehr mit dem Kommunikationsstil als mit inhaltlichen Fragen zu tun. Eigentlich gilt ein Parteibeschluss, der den Weiterbau als notwendig einstuft und nur im Rahmen der Koalitionsbildung zurückgestellt wurde. Jetzt könnten aber auch die SozialdemokratInnen dem Anti-Ausbau-Lager beitreten.

Gleich vier Anträge werden auf einem Parteitag am 19. Juni gegen den 17. Bauabschnitt der A100 eingebracht. Den ausführlichsten davon, für den der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg verantwortlich zeichnet, empfiehlt die Antragskommission den Delegierten zur Annahme – wenn auch nicht im Konsens. Um „alte Fehler“ der autogerechten Stadt nicht zu wiederholen, fordert der Antrag die Landesregierung auf, zu tun, was noch in ihrer Macht steht. Allzu viel ist das nicht: die „Rücknahme der Projektanmeldung zum Bedarfsplan des Bundesfernstraßennetzes“ sowie die Änderung des Berliner Flächennutzungsplans, um die für den Weiterbau benötigten Flächen stattdessen für den Wohnungsbau, Sportangebote oder Clubkultur auszuweisen.

Über Ähnliches denkt möglicherweise auch die Senatsveraltung nach. Schon Anfang April hatte man dort nach Angaben eines Sprechers mit der Prüfung „aller gangbaren Op­tio­nen“ begonnen, um den Weiterbau der A100 „nicht zur Realisierung kommen zu lassen“. Einfach scheint es nicht zu sein: „Die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen“, hieß es jetzt auf Nachfrage.