piwik no script img

„Alle hatten Angst“

Für ihr Buch „Tatort Polizei“ haben Christina Zühlke und Jan Keuchel mit vielen Ordnungshüte­r:in­nen gesprochen. So ganz einfach war das nie

Lena Heckel/WDR

Christina Zühlke 42, Journalistin für WDR und das ARD-Magazin Monitor.

Interview Hannah Reupert

taz: Frau Zühlke, Sie beobachten eine Auseinandersetzung, die zu eskalieren droht. Würden Sie die Polizei rufen?

Christina Zühlke: Während unser Recherche gab es einen Vorfall, bei dem ein Mann vor dem WDR-Funkhaus eine Frau mit einem Messer angegriffen hat, da habe ich natürlich die Polizei gerufen. Als die allerdings wissen wollten, ob der Täter Ausländer ist, meinte ich, das sei nicht wichtig. Die Quintessenz ist: Ja, die Polizei anrufen, aber auch selbst wachsam bleiben.

Wie viel ist am Klischee des auf Krawall gebürsteten Polizisten dran?

Ich bin immer sehr vorsichtig mit Klischees und denke, dass der Großteil der Po­li­zis­t:in­nen gute Arbeit macht. Aber es gibt eben welche, von denen wir sehen, dass sie sich bei dem, was sie legal dürfen – nämlich Gewalt auszuüben, die Polizei hat ja ein Gewaltmonopol – dass sie sich dabei nicht an die Regeln halten. Und selbst wenn man sagt, sie stehen unter großem Druck, sollten sie trotzdem so gut geschult sein, dass sie auch unter Druck nur die Gewalt ausüben, die erlaubt und angemessen ist.

Wieso spukt bei der Polizei immer noch dieser Korpsgeist?

Polizist:innen, die im Einsatz sind, erleben ja auch Gefahrensituationen. Wenn sie, zum Beispiel, auf De­mons­tran­t:in­nen treffen oder auf Hooligans, da kann ich schon verstehen, dass man sich blind aufeinander verlassen muss. Zusammenhalt ist nichts Verwerfliches, aber der darf nicht dazu führen, dass Fehlverhalten unter den Teppich gekehrt wird. Es muss so sein, dass spätestens am Ende eines Einsatzes reflektiert wird, ob sich alle an die Regeln gehalten haben. Eine Forderung, die wir in unserem Buch formulieren heißt: Es muss eine Kultur geben, in der Po­li­zis­t:in­nen sich trauen, Fehlverhalten von Kol­le­g:in­nen anzusprechen, ohne dass sie Angst haben müssen, gemobbt zu werden.

Wie viel Raum gibt es intern bei der Polizei für Selbstkritik?

Ein Beispiel aus dem Buch ist eine Polizeischülerin, die beobachtet wie ihr Ausbilder einen Demonstranten beim Christopher Streetday 2016 schlägt. Die Schülerin kritisiert ihren Kollegen, sagt später sogar gegen ihn aus. Sie fliegt durch ihre letzte Prüfung und darf als Polizistin erst mal nicht weiterarbeiten. Das zeigt: Es gibt ein Gefahrenpotential für die, die Fehlverhalten intern ansprechen. Deshalb brauchen wir eine externe Kontrollinstanz. Das kann nicht die Staatsanwaltschaft sein, denn die arbeitet zu eng mit der Polizei zusammen. Es bestehen Abhängigkeiten.

Lesung und Diskussion mit Michael Labetzke (Polizeigrün) und Kriminologie-Prof. Daniela Hunold: 18 Uhr, Mi, 8. 6., Altes Fundamt, Bremen

Jan Keuchel und Christina Zühlke: „Tatort Polizei“, München, Beck, 2021, 219 S., 16 Euro / e-book: 11,99 Euro

Auf welche Schwierigkeiten sind Sie während der Recherche gestoßen?

Die Polizei war nicht unbedingt bereit, Interviews zu geben und einzelne Polizisten, die mit uns geredet haben, wollten das nur verdeckt machen. Bis auf einen Polizisten, der auch Wissenschaftler ist, hat keiner offen geredet. Alle hatten Angst, dass sie hinterher Schwierigkeiten bekommen. Einer sagte: „Wenn man einen Kollegen anschwärzt, dann wäre das ‚Edeka – Ende der Karriere’.“

Was läuft in anderen Ländern besser?

Wir waren für das Buch in Dänemark. Dort gibt es eine echte unabhängige Polizeikontroll-Behörde. Mit etwa 30 Ermittler:innen, einem großen Budget und dem Recht Akten einzusehen und Zeugen zu vernehmen. So etwas fordern Men­schen­recht­le­r:in­nen auch in Deutschland seit vielen Jahren. Aber hier versuchen die Polizeigewerkschaften das zu verhindern. Sie sagen, externe Ermittlungen kämen einem Misstrauensvotum gleich. In einigen Bundesländern gibt es mittlerweile sogenannte Polizeibeauftragte. Aber das sind oft nur ein oder zwei Personen, mit wenig Budget und keinerlei Macht, wirklich zu ermitteln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen