Die Wahrheit: Frauen an Gartensträuchern
Nach einem halben Jahrhundert werden sie endlich prämiert: die besten saarländischen Sportfotos des Jahres 1971.
Was lange währt, wird endlich gut: Mit mehr als fünfzig Jahren Verspätung stehen die Sieger im Wettbewerb um die saarländischen Sportfotos des Jahres 1971 fest!
Eigentlich hätten sie bereits im Dezember ’71 gekürt werden sollen, aber kurz vor der entscheidenden Ausschusssitzung war der Juror Heinz-Peter Neffkens seinerzeit an einer fiebrigen Grippe erkrankt. Niemand hatte damals geahnt, dass sie ihn ein halbes Jahrhundert lang ans Bett fesseln sollte. „Und ich selbst am wenigsten!“ erklärt der heute 84 Jahre alte Neffkens lachend. „Ich bin sonst immer topfit gewesen, habe in meiner Heimatstadt Völklingen der Trimm-Dich-Bewegung angehört und sogar im Urlaub Hürdenlaufen und Kugelstoßen praktiziert …“
Die Grippeform, die ihn niederzwang, wurde nach Auffassung seines Hausarztes durch einen in der Natur sonst nur sehr selten zu beobachtenden Erreger des Stamms H33N9 verursacht. So sehen es auch die internationalen Experten, von denen Neffkens im Laufe der Jahrzehnte untersucht worden ist. Sein Fall machte Schlagzeilen bis hin in so abgelegene Fachzeitschriften wie das New England Journal of Medicine und die Annals of Surgery, und im Saarländischen Rundfunk wurde mehr als zweihundertmal über ihn berichtet.
Statistiker haben errechnet, dass Neffkens sich in den Jahren seiner Bettlägerigkeit insgesamt mindestens dreihundertfünfzigtausendmal umdrehen musste, um sich nicht wundzuliegen. In gewisser Weise sei das ja auch eine sportliche Leistung, sagt er und schmunzelt. „Aber seit letzter Woche bin ich wieder auf den Beinen!“
Die anderen beiden Juroren von einst – der Sportreporter Paul Johann Metzger aus Merzig und der Kunstsammler Hilbert Zägel aus Eppelborn – sind mittlerweile leider verstorben. Daher hat Neffkens nun ganz allein darüber zu befinden gehabt, welchen Fotos die „Palme“ gebührt. Aufbewahrt worden sind sie über all die Jahre in einem Tresor in der Sportredaktion der Saarbrücker Zeitung, wo der Zahn der Zeit naturgemäß ein wenig an ihnen genagt hat. Von den ursprünglich eingereichten 257 Fotos mussten 254 wegen Schimmelbefalls ausscheiden, sodass Neffkens nicht mehr viel Arbeit blieb – er musste bloß noch die Reihenfolge der drei Siegerfotos festlegen.
Den 3. Platz nimmt ein Schnappschuss vom 1971er Kettcar-Rennen in Spiesen-Elversberg ein.
„Man sieht hier die Gewinnerin Irmgard Röseler bei der Anfahrt auf die Zielgerade“, sagt Neffkens. „Bedauerlicherweise ist der Fotograf unmittelbar nach dieser Aufnahme von ihr überrollt worden und zwei Tage später seinen Verletzungen erlegen.“
Auf dem 2. Platz ist ein Foto aus Dillingen an der Saar gelandet. Es zeigt die Geschwister Christoph und Daniela Dettmersen in einer Verschnaufpause bei der Ostereiersuche.
Was Neffkens daran am besten gefällt, ist die Vielzahl der Farbkontraste und der geometrischen Formen: Karos, Ovale und Kreise wetteifern mit Parallelen und breiteren Rechtecken um das Augenmerk des Betrachters. Unglücklicherweise kann der Name des Fotografen jedoch nicht mehr ermittelt werden, weil die mit Bleistift notierten Angaben auf der Rückseite des Fotos verwischt sind.
Auf dem Siegerfoto ist Waltraud Neffkens zu sehen, Heinz-Peter Neffkens’ Ehefrau, die 1971 bei der traditionellen Frauen-halten-sich-an-Gartensträuchern-fest-Challenge in Völklingen zwanzig Stunden lang durchhielt und damit alle Konkurrentinnen aus dem Feld schlug.
Der Zufall will es, dass Heinz-Peter Neffkens selbst dieses Foto geschossen hat. Seine Wahl habe er „trotzdem völlig objektiv getroffen“, sagt er, und das klingt glaubwürdig, denn es handelt sich hier eindeutig um das schönste der drei großartigen Fotos.
Das von der Stadt Saarbrücken für das Siegerfoto gestiftete Preisgeld in Höhe von 1,5 Millionen Euro wollen Heinz-Peter und Waltraud Neffkens größtenteils in einen Treppenlift investieren, teilweise aber auch im Casino Ludwigspark der Saarland-Spielbank beim Roulette verpulvern. Davon habe er „seit fünfzig Jahren geträumt“, kann Neffkens bei der Siegerehrung im Festsaal des Saarbrücker Rathauses noch ausrufen, bevor er an einer Nierenkolik verscheidet.
Gut für die Stadt Saarbrücken, denn das Preisgeld fällt infolge dieses Todesfalls an sie zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“