„Afrika soll eigene Mode bekommen …“

… und nicht Europas Second-Hand-Ware auftragen. Mit ihrem Label „Made in Africa“ will die diesjährige Schirmherrin des Osnabrücker Afrika-Festivals, die senegalesische Designerin Oumou Sy, ihrem Kontinent zu mehr Selbstvertrauen verhelfen. Im Interview erklärt sie, wie das funktionieren kann

Oumou Sy ist die berühmteste Modeschöpferin Afrikas. Ihre Kreationen sind in New York, Paris und Rom zu sehen, sie unterrichtet in Mailand und Genf. Ihre Mode- und Designschule befindet sich in Dakar, der Hauptstadt ihres Heimatlandes Senegal.

taz: Was hat Sie bewogen, die Schirmherrschaft für das Afrika Festival in Osnabrück zu übernehmen?

Oumou Sy: Wenn ich ehrlich bin: Ich habe zunächst gar nicht verstanden, dass ich als „Schirmherrin“ vorgesehen bin. Und da das französische Wort „patron“ einen autoritären Beigeschmack hat, würde ich mich ohnehin lieber als Gast sehen. Ich bin als Künstlerin gekommen, als eine von vielen.

Sie präsentieren bei Ihren Besuchen im Ausland nicht nur Entwürfe, sondern auch eine bestimmte Arbeitsphilosophie.

Das ist richtig, wobei ich allerdings noch eine wichtige Unterscheidung treffe. Ich bin auf der einen Seite Modeschöpferin, und zwar eine, die ganz verrückte Dinge tun und ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann. Bei mir gibt es eigentlich keine Entwürfe, ich schneidere sofort drauflos und lasse mich immer von der Inspiration des Moments leiten. Das ist, wenn Sie so wollen, Haute Couture. Auf der anderen Seite vertrete ich das Label „Made in Africa“. Das ist Prêt à porter. Mode die jeder tragen kann und jeder tragen soll – vom Religionsgelehrten bis zum Bauern.

Wäre ein Bauer denn in der Lage, eines Ihrer Kleidungsstücke zu bezahlen?

Ja, durchaus. Denn sie sind das Ergebnis eines langen Prozesses, der innerhalb Afrikas stattfindet und deshalb vergleichsweise geringe Kosten verursacht. An der Produktion sind Baumwollpflanzer, Schneider, Tuchmacher und viele andere Menschen beteiligt, und wir versuchen gemeinsam, unsere eigenen Ressourcen zu nutzen. Ich sehe mich im übrigen nicht als alleinige Repräsentantin des Labels, sondern als Managerin und Teil eines Teams, das auf Dauer in ganz Afrika aktiv werden kann.

Was wollen Sie mit dem Label „Made in Africa“ erreichen?

Afrika soll seine eigene Mode bekommen und nicht länger die Second-Hand-Ware aus Europa auftragen. Allein für die Zollgebühren und Transportkosten könnten wir vor Ort sehr viele Werkstätten und Fabriken unterhalten, die auf eigenen Füßen stehen würden. Doch es geht nicht nur um wirtschaftliche Überlegungen. Viele Kleider werden in Europa nicht mehr gebraucht und weggeworfen, sie stammen zum Teil von Kranken oder Toten und sind „nicht sauber“, das heißt: mit negativer Symbolik aufgeladen. Dieser Aspekt spielt für Afrikaner eine wichtige Rolle, ohne dass sie genau wüssten, was sie dagegen unternehmen könnten. „Made in Africa“ soll dazu beitragen, dass sie sich endlich auf ihre eigenen Stärken besinnen. Eigene Kleider bedeuten deshalb viel für die Würde und Anerkennung eines Menschen.

Ohne eine industrielle Fabrikation ist dieses Projekt kaum durchführbar. Wäre es dann denkbar, dass Afrika irgendwann einen Dresscode entwickelt, der genauso langweilig ist wie der europäische?

Sie können den Europäern vielleicht nicht ihre Krawatten und Westen wegnehmen, aber die Afrikaner sehen das sehr locker und unbefangen. Sie sind offen für neue Trends und Überraschungen, für alle möglichen Farben und Formen – sogar für Westen und Krawatten!

Sie sind als Frau in einem aristokratischen, streng religiösen Umfeld und außerdem als Analphabetin aufgewachsen. Wie haben Sie Ihr Erfolgsrezept entwickelt?

Analphabetismus gilt als großes Handycap, aber bei mir war es das Gegenteil. Wenn ich hätte lesen und schreiben können, hätte ich viel zu viel gegrübelt und mir über alles Mögliche Gedanken gemacht. Das wäre zu einer bestimmten Zeit meines Lebens nicht von Vorteil gewesen, weil es mich vielleicht davon abgehalten hätte, das Wesentliche zu tun. So habe ich einfach mit fünf Jahren angefangen zu arbeiten, mit 13 mein erstes Atelier gehabt und als erste senegalesische Unternehmerin ein Internet-Café eröffnet.

Aber Sie haben auch mehrere Ehemänner abgelehnt, die für sie ausgesucht waren, woraufhin ihre Mutter jahrelang nicht mit Ihnen sprechen wollte.

Ich habe nur die Armbänder zerrissen, auf denen die potenziellen Kandidaten verzeichnet waren. Solche Bänder bekommen alle Mädchen, und da stehen dann zum Beispiel die Söhne sämtlicher Tanten drauf. Was ich getan habe, ist in meiner Heimat vielleicht nicht üblich, aber ich möchte da sehr genau differenzieren. In dem Milieu, in dem ich aufgewachsen bin, ging es nicht um Autorität oder Machtausübung, sondern darum, Erziehungsprinzipien durchzusetzen. Ich habe zuhause keine Diktatur erlebt, meine Familie wollte mir aber eine bestimmte Vorstellung vom Leben vermitteln. Mir und allen anderen Kindern sollte gezeigt werden, wie sie sich als Frau oder Mann in dieser Gesellschaft zu verhalten haben. Ich habe allerdings meine eigenen Ideen entwickelt. Zunächst mit der Hilfe Gottes, denn ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Außerdem verfüge ich über einen starken Willen, und dieser Charakterzug war sicher von Vorteil. In dem genannten Fall vertrete ich nun einmal die Meinung, dass die Ehe ein sehr enges Bett ist. Es wird im Laufe der Zeit sogar immer enger, wenn man es mit jemandem teilen muss, den man nicht liebt.

Sie haben lange in einem Armenviertel in Dakar gelebt. Sehen Sie sich selbst als Vorbild für Ihre Mitmenschen?

Ich habe tatsächlich bis vor wenigen Wochen in der Medina gelebt, das ist ein sozialer Brennpunkt, allerdings auch ein Ort, der es einem erlaubt, die Entwicklungen direkt und unmittelbar zu verfolgen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Hier habe ich immer wieder festgestellt, dass mich die Menschen zum Vorbild machen, gleichgültig wie ich selbst dazu stehe. Ich würde sagen, Vorbild zu sein ist mein Schicksal, meine Bestimmung, aber auch eine große Last. Vorbilder haben leider kein Recht, sich zu irren oder Fehler zu machen, von ihnen wird immer etwas Besonderes erwartet. Seit ich im Jahr 2001 33 Tage im Gefängnis saß und die ganze senegalesische Bevölkerung protestiert hat, lässt sich an dieser Situation aber nichts mehr ändern.

Was ist damals passiert?

Ich sollte mit einer senegalesischen Kulturdelegation zum Jahrestag der libyschen Revolution reisen und wurde noch am Flughafen festgenommen, weil etwas mit meinen Mannequins nicht stimmen sollte. Ich kam dann in Beugehaft, und der Staatsanwalt hat mir angeboten, mich durch die Hintertür zu entlassen. Ich wollte aber durch die Vordertür gehen und habe meine Inhaftierung deshalb als Mission betrachtet, um gegen die Praxis der Beugehaft zu protestieren. Sie kann im Senegal mehrere Jahre dauern, wenn der Staatsanwalt die richtigen Akten nicht findet, und die Haftbedingungen sind wirklich menschenunwürdig. Das Ganze war für mich aber auch eine große mystische Erfahrung. Ich habe schließlich 33 Tage in der Wüste gelebt.

Interview: Thorsten Stegemann

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