Freundliches Gefängnis

RAINER WERNER FASSBINDER Eine Veranstaltung im Collegium Hungaricum fragte nach den Geschichtsbildern des großen Regisseurs. Und Hanna Schygulla plauderte mit dem ungarischen Regisseur Géza Bereményi über die endlose Nachkriegszeit

VON DETLEF KUHLBRODT

Vor 30 Jahren starb Rainer Werner Fassbinder. In 16 Jahren realisierte er über 40 Spielfilme, diverse Fernsehserien, Theaterstücke und Hörspiele. Die von der Filmzeitschrift Revolver in Zusammenarbeit mit dem Collegium Hungaricum Berlin organisierte Veranstaltungsreihe „Hands on Fassbinder“ versucht, sein Werk im aktuellen Kontext neu zu betrachten. Begonnen hatte man am 12. Mai mit dem Thema „Parallelwelten“; am Wochenende beschäftigte man sich im Collegium Hungaricum mit „Geschichtsbildern“. Ausgehend von Filmen wie „Händler der vier Jahreszeiten“ (1971), der BRD-Trilogie („Die Ehe der Maria Braun“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“, „Lola“, 1979–1981) und der Terroristenkomödie „Die dritte Generation“ (1979), wurde Fassbinders filmischer Blick auf Geschichte untersucht.

Während Dänemark gegen die Niederlande gewann, sprachen Hanna Schygulla und Géza Bereményi über „die endlose Nachkriegszeit“. Etwa 70 Leute waren gekommen, um die 1943 in Kattowitz geborene große Schauspielerin und Sängerin zu sehen, die in über 20 Filmen Fassbinders mitgespielt hat. Der ungarische Regisseur, Schriftsteller und Liedermacher Géza Bereményi ist drei Jahre jünger. János Can Togay, Regisseur, Dichter, Schauspieler sowie Leiter des Collegium Hungaricum, moderierte das Gespräch, das von „parallelen und auch gespiegelten Symmetrien“ handeln sollte. Diese Vorgabe war etwas problematisch, weil sie ein wirkliches Gespräch eher behinderte. Stattdessen beantworteten die beiden hintereinander die gleichen Fragen.

Schlüssel Erinnerung

Hanna Schygulla erzählte von ihrer Kindheit in Oberschlesien, von der Mutter, die ihr den Namen Hanna gab, wohl in Erinnerung an eine deportierte Jüdin, vom Vater, der hitlergläubig war und den sie eigentlich erst mit fünf kennenlernte. Im Krieg war der Vater ein Fremder geworden, und „als Fremder ging er durch das Leben“; als jemand, der nicht sprechen konnte, der unfähig war, normale Beziehungen aufzubauen, und in sich eingeschlossen blieb.

Géza Bereményi sagte, der Schlüssel seines Lebens sei das Dasein als Flüchtling. Der Vater war aus Temeswar, das damals noch ungarisch war. Er floh nach Wien, wo er die Mutter kennenlernte. Bereményi wuchs bei seinen Großeltern auf. Als er seinen Vater mit 14 kennenlernte, habe man sich aber schnell befreundet. Von seinen Großeltern habe er gelernt, „dass das Leben ein Labyrinth ist; hinter jeder Ecke lauert Gefahr, der man mit Improvisation begegnen kann“.

Schygulla sagte überrascht: „Das ist die Geschichte, die in Ihrem Film ‚Eldorado‘ erzählt wird.“ Schade, dass Bereményi darauf nicht weiter einging. Sich zu überlegen, wie sich die eigene Geschichte verändert, wenn sie zum Film wird, wäre interessant gewesen.

Abwechselnd ging es weiter. Schygulla erzählte, wie sie mit 13 über einen Fernsehfilm vom Holocaust erfuhr, wie sie sich schuldig-unschuldig gefühlt hatte, wie sie mit 15 bei einem Besuch in der DDR gedacht hatte: „Die machen ja genauso weiter wie bei Hitler“; wie sie später die BRD als freundliches Gefängnis empfand und wie alles dazu geführt hatte, dass ihre, die 68er Generation, „Nestflüchtlinge“ wurden, „das Eigene“ nicht lieben konnten und alles toll fanden, was von außen kam. Wie die Fassbindergruppe zur Ersatzfamilie wurde.

Im Ostblock sei der Holocaust kein Thema gewesen, sagte Bereményi, berichtete vom ungarischen Aufstand 1956, den er als Kind erlebte, wie sich junge Autoren seiner Generation, „die Kinder der Verlierer des Systems“, vor allem vorgenommen hatten, nicht zu lügen wie die Eltern. Die Zeit zwischen 45 und 89 sei in Ungarn wie ein Winterschlaf gewesen.

So ging es weiter, über den Deutschen Herbst bis in die Gegenwart und die abschließende Frage, ob die Nachkriegszeit nun vorbei sei. „Nein, in Hanna und in mir setzt sich der Zweite Weltkrieg noch fort“, so Bereményi. Und: 1989 habe er das Gefühl gehabt, in den großen Kreislauf der Menschheit zurückgekommen zu sein. „Alle großen Probleme gehen nun auch mich etwas an.“

Jemand klagte, dass kaum über Fassbinder geredet wurde. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, Schygulla und Bereményi getrennt zu fragen.

Geschichtseventgenre

Sonntagmittag sprach dann Saskia Walker von Revolver mit dem Dokumentarfilmer Thomas Heise, der in der DDR mit Fassbinder im Fernsehen groß geworden war. Es war ein sehr entspanntes, gutes Gespräch, in dem es vor allem um Heises Filme über rechte Jugendliche ging. Frappant war, wie Heises Dokumentaraufnahmen bestimmten Fassbinder-Passagen ähnelten.

Die Filmwissenschaftlerin Sonja M. Schultz stellte in ihrem klugen Vortrag Fassbinders lebendige und offene Beschäftigung mit Geschichte, dem Geschichtseventgenre und „Versöhnungsmelodram“ à la „Das Boot“, „Dresden“ oder „Das Wunder von Bern“ gegenüber. Der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser sprach im Rückgriff auf Foucault über die „Dritte Generation“, der New Yorker Filmkritiker Jim Hoberman referierte die Geschichte der amerikanischen Rezeption von Fassbinder, der als jüngerer Bruder von Godard und Warhol wahrgenommen wurde; Manfred Hermes schließlich sprach vor allem über „Berlin Alexanderplatz“.

Und danach guckten wir wieder Fußball.