: Raus aus dem Saal
Unter freiem Himmel, auf dem Schiff, im Zug und auf der Straße: Theater wird in den kommenden Monaten oft open air gespielt
Von Tom Mustroph
Der Sommer kommt, die Open-Air-Theatermacher*innen bringen ihr Equipment auf den Vordermann und legen letzte Hand an neue Stücke an. Die vergangenen beiden Sommer waren bekanntlich mager, Maskentheater wurde vor allem vom Publikum und das auch ganz ohne Regieanweisung gespielt. In Anbetracht der beiden Pandemiesommer ist die Lust aufs Draußenspielen in der Szene daher besonders groß.
Und auch die Bandbreite der Orte kann sich sehen lassen. Ob Liegewiese am Stadtbad, gleich ein ganzes Flussschiff auf Elbe und Havel, eine alte Eisenbahn, die quer durchs Land fährt, oder ein Zirkusareal am Rhein – es gibt nichts, was nicht bespielt werden kann.
Eine der reizvollsten Initiativen ist sicherlich das „Traumschüff“. Schon den sechsten Sommer ist diese mobile Wasserbühne namens „Genossin Rosi“ auf Fließ- und Stehgewässern in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Gezeigt wird unter anderem die Trilogie „Treue Hände“ über das Verschachern ostdeutscher Industriestandorte kurz nach der Wende. Auch ein neues Sintflut-Stück – „Auf der Arche um halb acht“ – ist im Repertoire.
Das Publikum schaut vom Ufer aus zu. Und auch für die Crew ist die Bühnenschiffsreise ziemlich reizvoll. „Jede Vorstellung spielt in einem anderen Bühnenbild: mal an der belebten Uferpromenade, mal an einem idyllischen Deich, mal von den Wellen der Müritz durchgeschüttelt – aber immer für die Menschen vor Ort, mit denen man nach den Stücken oft ins Gespräch kommt und sich über das gemeinsame Erlebnis austauscht“, teilt Johanna Paliege, Schauspielerin und Musikerin auf dem Traumschüff, mit. Die Reise beginnt am 15. Juni in Wittenberge, geht dann weiter nördlich nach Dömitz und endet nach Stationen unter anderem in Havelberg, Rathenow, Strodehne und Zehdenick am 20. August in Oranienburg.
Auf dem Lande, überall dort, wo Schienen verlegt sind, ist hingegen die Compagnie Das letzte Kleinod unterwegs. Die aus der Nähe von Cuxhaven stammende Gruppe betreibt seit vielen Jahren einen Theaterzug. Für die neue Saison wurde das Stück „Amerikalinie“ entwickelt. Es erzählt in mehreren historischen Reisezugwagen die Geschichte von Auswander*innen nach Amerika. Die wurden einst auf der Eisenbahnstrecke bis nach Bremerhaven gebracht. Der Zug hält zwischen 15. August und 3. Oktober an zahlreichen damaligen Zusteigestationen, unter anderem in Senftenberg, Berlin-Spandau, Salzwedel und Uelzen.
Hoch in die Lüfte geht es hingegen beim an Attraktionen prall gefüllten Circus Dance Festival vom 2. bis 6. Juni in Köln. Auf dem Gelände des Kölner Zirkus Latibul bewegt sich die aus Panama stammende Artistin Eleonora Dall’Asta an einem Seil hängend und mit riesigen Metallrohren tanzend durch die Lüfte. Der niederländische Luftartist Luuk Brantjes nutzt hingegen ein Schleuderbrett für seine Flugshows. Exzentrisch ist auch der große Glaszylinder, in den Cendrine Gallezot und Jörg Müller tauchen und darin vor aller Augen aquatische Performances anbieten.
Das hierzulande den zeitgenössischen Zirkus vorantreibende Overhead Project, das auch das Festival mit ausrichtet, ist neben vielen anderen Acts im einer Manege nachempfundenen Performancezelt mit seiner zwischen Tanz und Akrobatik angesiedelten Show „My Body Is Your Body“ zu sehen.
Echte Konkurrenz erwächst dem Kölner Event in Detmold, mit dem dort vom 3. bis 6. Juni stattfindenden Straßentheaterfestival Bildstörung. In dem Areal vor und in dem ehemaligen Flugzeughangar 21 sowie im ganzen Stadtraum sind Straßentheaterkünstler*innen vor allem aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu Gast. In „La Spire“ der französischen Rhizome Compagnie bewegen sich fünf Akrobatinnen in einer 7 Meter hohen und 18 Meter langen Stahlspirale. Auch bei „Levitation“, einem Projekt der Compagnie Au Delà Du Bleu, geht es in die Höhe: Base-Jumper und Wingsuit-Piloten führen komplexe Choreografien aus – ganz so, als seien sie Fledermausmenschen.
Berlin bietet natürlich auch so einiges. In Nordcharlottenburg ist das Globe Theater dem Aufbau des historischen Runds aus Shakespeares Zeiten beträchtlich näher gekommen. Die großen Bausegmente wurden im Frühling aus Schwäbisch Gmünd geliefert und lagern nun am Rand des Open O, der bewährten Freiluftspielstätte. Diese markante Rundbespielung wird auch in diesem Sommer noch genutzt, erzählt Globe-Chef Christian Leonard. Er holte den Wiener Theatertausendsassa Anselm Lipgens für die Inszenierung von William Shakespeares „Wie es euch gefällt“ (Premiere 16. Juni) an die Spree.
„Wie die Krähe fliegt – Berlin, Todmorden“ ist hingegen eine komplette Eigenentwicklung. Auf Initiative der Globe-Schauspielerin Wiebke Acton werden Geschichten über Heimat und Migration erzählt (Premiere 23. Juli). Eine weitere Neuproduktion sowie bewährte Stücke aus dem Repertoire erweitern unter dem Spielzeitmotto „Abschied und Aufbruch“ das Programm. Im Sommer hofft Leonard darauf, den Pachtvertrag zu unterschreiben. „Danach können wir die Baugenehmigung beantragen und hoffen, für die kommende Saison das Globe einzuweihen“, sagt er. Voraussichtlich wird dies also die letzte Saison im Open O.
Neuigkeiten gibt es auch bei der anderen großen Berliner Open-Air-Company: Die Shakespeare Company zieht vom traditionellen Standort am Schöneberger Südgelände auf eine Liegewiese am Freibad am Insulaner. Dort gibt es Sommerklassiker aus den letzten Jahren wie „Othello“, „Sommernachtstraum“ und „Macbeth“. Als Neuproduktion hat „Viel Lärm um nichts“ am 7. Juni Premiere. Die Saison hier geht bis 3. September.
Traumschüff „Genossin Rosi”: www.traumschueff.de
Theaterzug „Das letzte Kleinod”: www.das-letzte-kleinod.de
Circus Dance Festival: www.circus-dance-festival.de
Straßentheaterfestival Bildstörung: bildstoerung.net
Globe Theater: www.globe.berlin
Shakespeare Company: www.shakespeare-company.de
Monbijou-Theater: www.monbijou-theater.de
Schloss Bröllin: broellin.de
LeseUFO: alm.landkreis-oder-spree.de/LeseUFO
Und auch die Open-Air-Pioniere vom Hexenkessel/Monbijou-Theater sind wieder startklar. Nach endlos scheinenden Querelen um Spiel- und Schankgenehmigung soll es Mitte Juni mit den Theateraktivitäten im Amphitheater am historisch ersten Stadtstrand an der Spree weitergehen, verriet der von manchen geliebte, von manchen verfluchte Organisator Christian Schulz.
Traditionell mit Berlin verbunden ist das Schloss Bröllin in der Nähe von Pasewalk. Zum 30. Jubiläum des einst vom legendären R.A.M.M. Theater gegründeten Proben- und Residenzorts gibt es dort am Wochenende vom 21. bis zum 24. Juli ein Festival zwischen Zirkus, Performance, Musik und Tanz.
Beginnen lässt sich die Open-Air-Saison am 21. Mai mit dem kleinen, aber feinen Bibliotheksunterstützungsprojekt „LeseUFO“ in Neuzelle. Eine Gruppe Außerirdischer landet auf der dortigen Festwiese und nimmt Kontakt zu lesenden, schreibenden und sprechenden Vertreter:innen der menschlichen Spezies auf. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit der Berliner Regisseurin Heike Scharpff mit der Compagnie Grotest Maru sowie der Fahrbibliothek des Landkreises Oder-Spree. Auf dem Land ist, wie man merkt, auch in Sachen Kunst und Kultur Mobilität gefragt, sei es per Bibliotheksbus, Theaterschiff oder Theaterzug.
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