editorial: Die neue Reformation des verkarsteten Glaubens hat längst begonnen
„Leben teilen“ heißt der Titel des 102. Deutschen Katholikentags in Stuttgart, der am Vorabend von Himmelfahrt 2022 mit einer Willkommensfeier im Schlossgarten und mit einem Gottesdienst am Sonntag auf dem Schlossplatz endet. Das Motto klingt für nichtreligiöse Menschen nach nichts: Dass der Mensch als Einzelwesen nichts ist, trifft er nicht andere Menschen, lebt er oder sie mit ihnen, teilt er mit ihnen nicht das, was in der Welt eben zu sharen ist, ist urchristlich schlechthin.
Aber ein Katholikentag ist keine vatikanische Top-down-Veranstaltung, er ist die größte Laienversammlung des katholischen Glaubens in Deutschland, ausgerichtet nicht von einer Bischofskonferenz, sondern den Gläubigen selbst mit ihren graswurzelhaften Engagements, ihren Leidenschaften, ihren religiösen Ansprüchen, ihren Kümmernissen und Wünschen nach Teilhabe am Leben in der Welt. Mehr als tausend Programmpunkte sind im Angebot – und sehr viele entsprechen aktuellen Diskursen: um den Synodalen Weg, die Teilhabe der Laien am Klerus, um Kirchensprache, Gender- und Identitätspolitiken und natürlich auch, aktuell wie nichts anderes, Fragen nach Krieg & Frieden (nicht nur) in der Ukraine.
Die taz widmet traditionell den größten Glaubensgemeinschaften im Lande zu ihren Laienbasistreffen einen journalistischen Schwerpunkt. In dieser Ausgabe geht es um Geschlechteraufbrüche, die Haltung der katholischen Christ*innen zu Waffenlieferungen an die Ukraine, die Frage der Taufe und wie sehr sie wichtig bleiben könnte – und schließlich das krasseste Thema katholischer Aufräumarbeiten, das des epidemischen sexuellen Missbrauchs durch Funktionsträger im Klerus, in den Gemeinden fast überall.
Wir wünschen gute Lektüre und gute Tage in Stuttgart: Auf dass es nicht wieder ruhig werde in den Gemeinden. Jan Feddersen
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