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Kommentar von Jan Feddersen zum 102. Deutschen Katholikentagin StuttgartDer alte Klerus ist am Ende, weiß es nur noch nicht

Katholikentage sind oft nur Ventile für Verdruss und Resignation gewesen. Die Versammlung von Vereinen katholischer Prägung, eben das Graswurzelhafte dieser Glaubensrichtung jenseits vom offiziellen Würdenträgertum der Bischöfe und Vatikanhörigen, musste sich die meisten Jahrzehnte ihrer Bewegung mit dieser Rolle zufriedengeben: Einmal alle zwei Jahre Unmut ablassen dürfen – danach herrschen wieder die verkarsteten Verhältnisse, bei denen konservative bis reaktionäre Amtsträger, vom Priester bis zum Bischof, sich um die Ansprüche ihrer Basis nicht zu scheren brauchten.

So geht es nicht weiter, seit Langem nicht. Der nicht nur sündig, sondern teils kriminell zu nennende Umgang des Klerus mit Fällen sexuellen Missbrauchs von jungen Menschen durch ihre Funktionsträger hat zu einem Exodus aus der Kirche geführt, dass es finanziell tüchtig zu schmerzen beginnt – die moralische Legitimität ist ohnehin schwer erschüttert, jetzt wird sich dies in den Kontoständen spiegeln, gut so.

Der Katholizismus in Deutschland wird sich ändern, er tut dies schon seit Jahren. Auf dem Katholikentag geht es um die übliche Agenda moderner Weltzugänge: Fragen der Diversität, des Rassismus, der Geschlechterdemokratie, der Sexualität inklusive Entdiabolisierung des Homosexuellen, globale Partizipation plus Kolonialismuskritik mit Wucht, Klimakrise und der Krieg des Goliaths Russland gegen den David Ukraine: Die katholische Kirche wird sich, nötigenfalls auch in Distanz zum Vatikan, öffnen, spirituell weiten müssen, sonst bliebe ihr wirklich nur das Schisma übrig, eine Reformation 2.0.

Dass die jungen und sehr jungen Angehörigen dieser Kirche mit ihren Ansprüchen sich nicht mit einem Stoßseufzer bedrängter Kreaturen zufrieden geben werden, wird markiert durch das Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I., das nun mit einem roten Tuch verhüllt ist, eine Kritik an der kolonialistischen Politik dieses Monarchen und seiner Gefolgschaft. Dies musste politisch durchgesetzt werden – und kein taktvoll hüstelnder Bischof konnte dekretieren, nun müsse mal Schluss mit diesen politischen Albernheiten sein.

Der Aufbruch wird diese globale Glaubensgemeinschaft erfrischen – und sei es eben auf Kosten dieser wirklich alten, weißen, männerhaftigen Funktionärsschicht, die die Zeichen der Zeit, also der Aufklärung und der Aufräumungen, sinnlich und theologisch nicht verstanden haben. Stuttgart kann ein interessantes Pflaster werden für diese Religion: Ihre kulturellen Interieurs werden beguckt – und nötigenfalls musealisiert. Dieser Katholikentag wird kein frömmlerischer werden, und das ist erfreulich.

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