berliner szenen: Der Rauch der Erinnerung
Weil der Automat Prinzenstraße den Geldschein nicht annehmen will, fahre ich angstfrei schwarz. Nach dem Schnelltest in der Schlesischen Straße gehe ich die Viertelstunde spazieren. Zum Wasser hin und wieder zurück. Wenig später stehe ich wieder im Eingangsbereich des Pflegeheims. Der gleiche Mann, der mir vor einigen Wochen den Eintritt verwehrt hatte, kontrolliert mich leicht misstrauisch. Keine Ahnung, ob er mich wiedererkennt.
Die Geräusche im Heim sind mir vertraut; im Pflegeheim, in dem meine Mutter gelebt hatte, hatte es ähnlich geklungen. M. sitzt halb liegend in seinem Krankenbett. Er ist noch ordentlich blass und abgemagert, aber lebendiger als das letzte Mal. Wir reden über den Krieg und nachher über Fußball. Es ist schön, wieder mit einem Vertrauten zu reden. Der Fernseher läuft die ganze Zeit, das ist angenehm.
Eine patente Pflegerin kommt vorbei, um den Verband zu wechseln, M.s Zucker zu messen und ihm was zu spritzen. Ich will aufstehen, damit sie mehr Platz hat. „Nein, nein, bleiben Sie nur sitzen.“ Dann ist sie wieder weg. Irgendwann sagt M.: „Dein Pullover riecht so sehr nach Rauch, warst du in der Kneipe?“ – „Nein, schon ein paar Jahre nicht mehr.“ Dass der Pullover nach Rauch riecht, ist mir einerseits ein bisschen peinlich, andererseits ist es auch lustig, dass gerade M. mich darauf aufmerksam macht. Vor ein paar Jahren hatte ein Arzt das Fenster aufgerissen und mich regelrecht beschimpft, weil mein Pullover nach Rauch roch. Das war sehr erniedrigend gewesen.
Auf der Rückfahrt bettelt eine Frau in der U-Bahn. Ein pausbäckiger Fußballfan, der mit zwei Freunden zum Spiel fährt, gibt ihr was. So hat er sich das Recht erkauft – zwei Stationen lang –, ihre Bedürftigkeit infrage zu stellen.
Detlef Kuhlbrodt
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