doppelblind
: Erstes inter-stellares Objekt auf der Erde

Sich für Informationen durch Bürokratie wühlen zu müssen, ist ärgerlich. Noch ärgerlicher ist es, wenn es die Bürokratie des US-Militärs ist und die Informationen einen Meteor betreffen, der von außerhalb unseres Sonnensystems über dem Pazifik niedergegangen ist. Diese Erfahrung kostete zwei Astrophysiker der Universität Harvard fast drei Jahre.

Amir Siraj und Abraham Loeb stellten fest, dass ein nur 45 Zentimeter großer Meteor, der im Januar 2014 über Papua-Neuguinea in die Erdatmosphäre eintrat, mit 99,999-prozentiger Wahrscheinlichkeit von außerhalb unseres Sonnensystems stammt. Wenn die von der NASA gemessene Geschwindigkeit stimmte, war er mit 161.280 Stundenkilometer eingetreten. Um von innerhalb des Sonnensystems zu kommen, hätte er 45 Prozent langsamer gewesen sein müssen. 2019 reichten die Wissenschaftler die Studie „Discovery of a Meteor of Interstellar Origin“ bei den Astrophysical Journal Letters eingereicht und luden sie auf einen Preprint-Server.

Das Problem: Die Sensoren, mit denen die NASA das Eintrittstempo von Meteoren misst, dienen dem Pentagon auch zur Entdeckung nuklearer Explosionen. Deswegen hält das US-Militär geheim, wie groß ihre Fehlerspanne ist. Diese Fehlerspanne aber brauchten Siraj und Loeb, um durch den Review-Prozess des Mediums zu kommen.

Nach einer „ganzen Saga“, wie Siraj sagte, landete das Gesuch der Astrophysiker schließlich beim Chefwissenschaftler der US-Weltraumstreitkräfte, Joel Mozer. Und der schickte am 1. März dieses Jahres ein Memo an den Wissenschaftsdirektor der NASA, in dem er die Berechnungen bestätigte. Siraj erfuhr erst vier Wochen später durch einen Tweet eines Kollegen davon. Damit ist der Meteor jetzt das erste interstellare Objekt, das innerhalb unseres Sonnensystems beobachtet wurde – bislang trug diesen Titel der 2017 entdeckte Komet Oumuamua, der das Sonnensystem weit entfernt von der Erde passierte.

Erst dessen Entdeckung hatte Siraj auf die Idee gebracht, eine Datenbank der NASA über Meteoren nach Eintrittsgeschwindigkeiten zu durchsuchen. „Der Meteor hat sich direkt vor unseren Augen versteckt“, sagte er dem Online-Magazin Vice. „Wir mussten gar nicht lang suchen, nur hatte vorher niemand nachgeschaut, weil vor 2017 keine interstellaren Objekte bekannt waren.“

Die Wissenschaftler wollen die Studie jetzt ordentlich veröffentlichen. Und Siraj sucht Unterstützer*innen, um den Boden des Pazifiks nach Gesteinssplittern zu durchkämmen: „Das erste bisschen interstellare Material bekommen zu können, ist so aufregend, dass wir das genau prüfen und mit Experten für Ozeanexpedi­tionen durchsprechen wollen.“ Hoffentlich sind die Splitter nicht auf einem chinesischen U-Boot gelandet.Jonas Waack