Privat-Geld für Menschen mit Behinderungen

Mehr Selbstbestimmung durch „persönliche Budgets“: Menschen mit Behinderungen erhalten in Bielefeld und Düsseldorf jetzt statt Sachleistungen ihr eigenes Geld. So entscheiden sie selbständiger über Betreuer und Freizeit

BIELEFELD taz ■ Vier Mal pro Woche wird Jannik B. bisher von einem Sozialarbeiter eines Bielefelder Wohlfahrtsverbandes aufgesucht. Der sorgt dafür, dass der leicht geistig Behinderte rechtzeitig in die Werkstatt für Behinderte kommt, in der der 25-Jährige tagsüber einen Teil seines Lebensunterhaltes verdient. Auch bei der Organisation seines Alltags, vom Wäsche waschen bis zum Einkauf, hilft der Sozialarbeiter. Doch jetzt möchte Jannik B. das selbstständig schaffen und hat beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) einen Antrag auf ein „persönliches Budget“ gestellt.

Das persönliche Budget wird zurzeit nur in zwei Städten in NRW erprobt: Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales hat Düsseldorf und Bielefeld für das Modellprojekt ausgewählt. Es geht zurück auf eine Reform des Rehabilitations- und Sozialhilferechts, die 2008 bundesweit in Kraft tritt. Danach werden Menschen mit Behinderungen Sachleistungen als Geld ausbezahlt und sie können selbst über die Verwendung bestimmen. Bundesweit wird das Budget in 14 Modellregionen in acht Bundesländern erprobt. Das Projekt läuft bis Juni 2007 und wird unter anderem von der Uni Dortmund wissenschaftlich begleitet werden.

„Ziel ist, dass wir flexiblere Hilfen bekommen und die Behinderten vom Klienten zum Auftraggeber werden“, sagt Wolfgang Voelzke von der Stadt Bielefeld, die das Vorhaben mit dem LWL und den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel umsetzt. „Wir erwarten normale Geschäftsbeziehungen“, so Bethel-Mitarbeiterin Mechthild Böker-Scharnhölz. „Aber für beide Seiten wird es natürlich auch große Umstellungen geben.“

In der Tat: Für die Betreuung von Jannik B. bekommt ein Wohlfahrtsverband jetzt 48,30 Euro pro Stunde. Kommt sein Antrag durch, kann er entscheiden, was er mit diesem Geld macht. Jannik B. will lieber, dass seine Schwester ihn betreut. Und das verbleibende Geld könnte dazu dienen, jemanden zu finden, der ihn beim Kinogang begleitet.

„Mit dem Geld könnte sich ein psychisch Kranker vielleicht auch einen Hund leisten, mit dem es ihm besser geht“, meint Böker-Scharnhölz. „Das war vorher nicht möglich.“ Aber auch ein bestimmter Sport oder Kurse in der VHS sind nun eher möglich. „Das würde natürlich ambivalent gesehen bei den Trägern“, glaubt Böker-Scharnhölz. Ihre Fachkräfte würden eventuell weniger benötigt.

Das befürchtet auch Thomas Profazi vom Landschaftsverband in Münster. „Ich-AG-Betreiber oder Verwandte und Bekannte können als Dienstleister billiger anbieten.“ Allerdings schließt er aus, dass dadurch irgendwann Kostensätze und Standards ausgehöhlt werden. Das alles müsse man in den Modellprojekten des „persönlichen Budgets“ überprüfen.

In der 330.000-Einwohner-Stadt Bielefeld können neben Jannik B. rund 1.000 Behinderte, die Sachleistungen beziehen, solche Anträge stellen. „Die große Nachfrage erwarten wir aber erst einmal nicht“, meint Profazi. Vier Anträge liegen ihm vor. Wenn es 50 werden, ist er zufrieden.

UWE POLLMANN