piwik no script img

wortwechselDie Weltkriegsgefahr unter Waffen begraben?

Ein offener Brief von 28 Kulturschaffenden an den Kanzler warnt vor einer Eskalation und Verlängerung des Krieges in der Ukraine – durch Lieferung deutscher schwerer Waffen

Butscha: Tetyana Nedashkivska versucht zu beschreiben, wie sie ihren Mann, einen Marinesoldaten, in einem Keller fand – erschossen und verstümmelt Foto: Zohra Bensemra/Reuters

„Kommentar von Klaus Hillenbrand zur Ukraine, einem Atomkrieg und einem offenen Brief: Wenn Angst die Argumente führt“, taz vom 2. 5. 22

Nachdenklich bleiben?

Der Kommentar auf Seite eins der taz zum offenen Brief in der Emma endet mit den Worten „das ist erbärmlich“. Unterstellt wird „fehlendes historisches Verständnis“, mangelnde „Empathie für die Ukrainer“ und Egoismus der Unterzeichner. Im Focus schreibt ein Autor: „Ein offener Brief in der Emma an Scholz zeigt, wie naiv Deutschlands Intellektuelle sind“. Zwei Beispiele von vielen für den momentanen Umgang mit nachdenklichen Stimmen, deren Vertreter wahlweise als naive, egoistische, weltfremde oder feige ‚Gutmenschen‘ gebrandmarkt werden. Und weil es um „Haltung“ geht, kann man den naiven Intellektuellen ihre erbärmliche Besserwisserei auf keinen Fall durchgehen lassen. Im kritisierten Brief ist von Vorschriften allerdings keine Rede, sondern von einem Missverhältnis zwischen berechtigtem Widerstand und dem daraus resultierenden Leid vieler Menschen. Folgt man allerdings der Argumentation des Kommentars, gibt es ein solches Missverhältnis in einem „Selbstverteidigungskrieg“ gar nicht und es setzt sich jeder von vornherein ins Unrecht, der mühsame Diskurse anstoßen und nicht akzeptieren möchte, dass es scheinbar wieder in Mode kommt, mit dem Verweis auf den eigenen Standpunkt auf der ‚richtigen Seite der Geschichte‘ einen ‚gerechten Krieg‘ zu hypen. Michael Hülsmann, Münster

Wie hört das Leid auf?

Die Emma-Petition enthält einen schweren gedanklichen Fehler: Mit der Kapitulation der Ukraine würde das Leiden der Bevölkerung aufhören. Aber wenn die Russen das ganze Land besetzen, würde das Plündern, Morden und Vergewaltigen erst richtig losgehen – laut Putin haben die Ukrainer ja kein Existenzrecht. Man findet jetzt schon Meldungen, dass russische Einheiten sich wegen der Beute gegenseitig beschießen.

Alfons Weise, Panketal

Selbstgerechte Debatte?

Der taz Autor hält eine „Debatte über den Krieg für dringend notwendig“, Meinungen, die seiner (offenbar eher kriegerischen) Haltung nicht entsprechen, aber für „erbärmlich“. Genau wegen dieser selbstgerechten Verweigerung von Diskussion hat es die Schwarzer’sche Petition gebraucht! Jürgen Lendeckel, Hannover

Während eine kritische Intelligenz dringend gebraucht wird, manövriert die Intelligentia sich selbst in einen kritischen Status. Der offene Brief an Scholz ist ein öffentliches Armutszeugnis.

Michael Kleim, Gera

Ich verstehe es nicht: Es wird uns ständig erzählt, dass die russische Armee lausig und schlecht organisiert ist. Andererseits heißt es, es besteht die Gefahr, dass sie den Krieg auf den Rest Europas ausdehnt. Wie denn, wenn sie so grottig ist?

Zio Pipo auf taz.de

Berichterstattungston?

Liebe tazler, der in der Emma erschienene offene Brief wird in der taz verkürzt wiedergegeben. Durch das Kürzen werden den Lesenden wesentliche Inhalte vorenthalten. Durch die indirekte Rede wird eine gewisse Distanz zum Inhalt ausgedrückt. Durch ein falsches Originalzitat wird der Inhalt verfälscht: Emma: „…nicht weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern.“ taz: „…nicht weitere Waffen an die Ukraine liefern.“ Ihrer eigentlichen Aufgabe, die LeserInnen einigermaßen ausgewogen über den offenen Brief zu informieren, kommen Sie somit nur in unzureichender Weise nach. Statt zu informieren, betreiben Sie Meinungsmache. Warum drucken Sie nicht einfach den offenen Brief ab? Dann könnten sich die LeserInnen ihr eigenes Bild machen. Es wäre auch ein kleiner Schritt in Richtung einer ausgewogeneren Berichterstattung, wie man sie früher von der taz gewohnt war.

Gerhard Hirneth, taz Abonnent

Alles nur „erbärmlich“?

Dieser offene Brief ist vorauseilendes „Schwanz einziehen“! Wann begreift der deutsche Friedensbewegte endlich, dass sich Putin letztlich einen Scheißdreck darum kümmert, ob Deutschland nun Kriegspartei ist oder nicht? Er wird in jedem Fall einen Vorwand für die nächste Eskalationsstufe finden. Egal woher. Die ängstliche Unterwürfigkeit einiger Intellektueller kotzt mich an.

Wolfgang Ehle, Kassel

Ich gehe darin konform, dass es die Entscheidung der ukrainischen Menschen ist, wie lange und stark sie kämpfen. Für diesen Kampf sollen meiner Meinung nach auch weiterhin schwere Waffen geliefert werden. Und ich wünsche ihnen aus voller Seele, dass sie ihn gewinnen. Aber die Angst vor einem derzeit wirklich nicht völlig unrealistischen Atomkrieg als erbärmlich zu bezeichnen, ist doch einfach nur selbst erbärmlich und einer zu führenden Diskussion unwürdig.

Rainer Momann, Puchheim

Danke für diesen Kommentar! Ja, den Ver­fas­se­r:in­nen des offenen Briefs an Kanzler Scholz geht es nur um den eigenen Hintern und, schlimmer noch, hoffen sie vermutlich auf einen schnellen Sieg Putins und, dümmer noch, glauben, dass dann alles wie früher würde. Vor dem, was historische Verantwortung in Deutschland tatsächlich heißt, ist dieser Brief einfach nur erbärmlich. Ulrich Noll, Idstein

Putin benutzt alle Ängste

Es handelt sich hier um einen geplanten Raub-, Mord- und Vernichtungskrieg Russlands, welcher zugleich ein Signal von Stärke und bedingungsloser Härte in die Welt senden soll – dem Westen zur Warnung und ein Versprechen an China, in Zukunft ein Partner nach seinem Geschmack zu sein, ganz ohne die lästigen „Altlasten“ völkerrechtlicher Bindungen. Unsere Ängste und erwartbaren Reflexe sind dabei Teil dieses Kalküls. Es ist aber nicht an uns, sich zu schämen. Es ist an uns, Frieden und Recht die Stärke zu verleihen, die es braucht, um überleben zu können. Wolf Rüttinger, Laufen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen