wortwechsel
: Olaf Scholz, die SPD und der Krieg

Kanzler Olaf Scholz steht wegen mangelnder Militärhilfe für die Ukraine in der Kritik. Waren der SPD die wirtschaftlichen Beziehungen zu Putin immer wichtiger als Menschenrechte?

Olaf Scholz mit ernstem Blick Neil Hall/epa Foto: Foto:

Kollektives Gedächtnis

„Ungarn ist ihm zu klein“,

taz vom 19. 4. 22

Das Gespräch mit dem Historiker Krisztián Ungváry vermittelte den Eindruck, dass in der aktuellen Außenpolitik Orbáns die Erfahrungen des Landes mit der Sowjetunion in der Nachkriegszeit keine Rolle spielen. Hat die Revolution von 1956 keine Spuren im kollektiven Gedächtnis der Ungarn hinterlassen? Müsste man nicht erwarten, dass die damaligen Erfahrungen mit ihrer blutigen Niederwerfung durch die Rote Armee eine Anlehnung an das Putin-Regime verhindern? Belegte nicht 1989 die Grenzöffnung zu Österreich erneut eine klare Distanz zur sowjetischen Vorherrschaft? 1956 hatte der Westen doppelt versagt: Einerseits duldete der mit seiner fehlenden militärischen Unterstützung die Niederwerfung der Revolution. Gleichzeitig diskreditierte er sich durch das neokolonialistische Suez-Abenteuer moralisch total. Sollte dieses unrühmliche Verhalten zu einer bis heute andauernden Desillusionierung im ungarischen Volk geführt haben, in dem Sinne: „der Westen ist auch nicht besser als das postsowjetische Russland“? Johannes Küchler, Berlin

Orbáns EU-Gelder

„Ungarn ist ihm zu klein“,

taz vom 19. 4. 22

Sie beschreiben die Unterstützung Orbáns durch EU-Gelder. Wer hat diese bewilligt, besten Kontakt zu Orbán und ist heute dessen „wissenschaftlicher Berater“? Ex EU-Finanzkommissar Günther Oettinger. Es wäre an der Zeit, diesen Skandal aufzuklären. Thomas Wittenmeier, Singen

Aufrüstung Ukraine

„Mariupol, die rote Linie“,

taz vom 17. 4. 22

Wer Scholz zum Vorwurf macht, dass er die Ukraine nicht mit Panzern und Flugzeugen aufrüsten will, übersieht, dass Waffen, mit denen ein Krieg gewonnen wurde, für den nächsten Krieg nur bedingt entscheidend sind, dass Russland als Sieger des Weltkriegs II in der Annahme irrt, dass die große Zahl von Soldaten, Panzern, Kanonen und Flugzeugen den vor wenigen Wochen begonnenen Überfall auf die Ukraine zum schnellen Sieg führen würde – was schon das Ergebnis bis heute zeigt. Ein einzelner Computerfreak kann im stillen Kämmerlein die Elektronik von Panzern knacken, Militärfahrzeuge führerlos in die Irre führen und dort dem tödlichen Beschuss durch Einzelkämpfer mit 10 Kilogramm schweren, von der Schulter abzufeuernden, „fire and forget“-Geschossen aussetzen. Solche Männer findet man im russischen Militär nicht, jedenfalls nicht entsprechend anerkannt und gefördert.

Friedemann Ungerer, Anklam

Zerrissene SPD

„Normalerweise ist der Kanzler der Good Guy“, taz vom 21. 4. 22

Nun ist die Zerrissenheit, in der sich die SPD schon seit vielen Jahren befindet, wieder öffentlich zu Tage getreten. Und dazu kommt nun noch die Schwierigkeit des Umgangs mit diesem Krieg mitten in Europa und der vielen Putin- und Russlandversteher. Nicht nur Altkanzler Schröder, sondern auch Steinmeier, Gabriel und Scholz waren die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wichtiger als die Menschenrechte und das verbrecherische Treiben von Putin in Georgien, auf der Krim, in Syrien und in der Ostukraine. Das Gaspipeline-Projekt Nordstream 2 war wichtiger und man begab sich in russische Abhängigkeiten, die wir jetzt alle schmerzlich zu spüren bekommen. Und was macht der Bundeskanzler? Er schweigt zumeist, und als ob diese Peinlichkeit für Deutschland in der ganzen Welt nicht schon genug wäre, versperrt er sich auch noch gegen die meisten Wünsche von Waffenlieferungen aus der Ukraine. Wann fängt Herr Scholz endlich an Führung zu zeigen?

Thomas Henschke, Berlin

„Militärexperten“

„Übertriebene Kritik an Scholz“,

taz vom 21. 4. 22

Bei den Bewertungen der Lage in Berlin und Kiew hebt sich die taz mit Ulrike Herrmanns Kommentar erfreulich ab. Der Meute der „Militärexperten“, die mit Google unterm Arm über alle Fakten hinweg nur die Melodie „mehr, mehr“ zu kennen scheinen ist es wohl egal, wer die komplizierten Systeme bedienen soll und kann. Für sie scheint es nur ein kleiner Schritt mehr zu sein, bis Bundeswehrsoldaten das übernehmen. Genau das ist für die neuen Militärexperten in den Medien und der Politik denkbar – für Scholz nicht. Dafür, dass Ulrike Herrmann hier Fakten aufzählt, bin ich sehr dankbar.

Erdmann Linde, Bochum

Deutsche Bremse

„Übertriebene Kritik an Scholz“,

taz vom 21. 4. 22

Was ist denn mit der Kritik aus Koalitions­reihen und den eigenen Reihen? Der Angriffskrieg dauert nun schon mehr als 6 Wochen, und immer wieder wurde von deutscher Regierungseite gebremst: Erst durften die Esten keine DDR-Haubitzen liefern, dann die Polen keine MIGs, nun endlich die Tschechen Panzerabwehrraketen, und der ebenso schon lange vorgeschlagene Ringtausch soll erst jetzt anlaufen. Warum kann die Bundeswehr eine Zeitlang nicht auf Marder verzichten, wenn die deutsche Regierung neue gleich bestellt hätte? Von verantwortlicher Planung kann keine Rede sein, und Kommunikationsprobleme sind es auch nicht nur, wie Scholz mit der deutschen Öffentlichkeit umgeht. Da ist nichts mehr vom anfänglichen „Aufbruch“ zu spüren. Die taz war schon mal kritischer!

Hans-Dieter Kübler, Werther

Wehretat

„Übertriebene Kritik an Scholz“,

taz vom 21. 4. 22

Zwar handelt es sich um einen Kommentar, also persönliche Meinung, trotzdem stieß mir die Aussage „Die Bundeswehr(…)wurde in den vergangenen Jahrzehnten kaputtgespart“ auf. Ich denke, Deutschland verfügt über einen durchaus stattlichen Wehretat. Und ich würde gerne mehr wissen, warum dieser nicht reicht. Stand tatsächlich zu wenig Geld zur Verfügung, oder wurde das Geld, wie wir im Schwäbischen sagen, „verdummt“. Wenn Geld nicht sorgfältig und planmäßig eingesetzt wird, wirft man das Geld zum Fenster hinaus. Vom ständigen Wiederholen der Aussage, dass wir zu wenig für das Militär ausgeben, wird die Aussage nicht richtiger, ich wüsste schon gerne, wo und wie viel fehlt um bestimmte Ziele zu erreichen. Volker Löschhorn, Stuttgart

Kriegsgerät

„Frieden schaffen mit Waffen“,

taz vom 15. 4. 22

Immer mehr Nato-Mitglieder versorgen die Ukraine mit schweren Waffen. Putin wird uns nicht glauben, diese Panzer und Kampfjets seien bloß Defensivwaffen, und wird uns zur Kriegspartei und zum Angriffsziel machen. Anscheinend wollen wir den Krieg nicht beenden, mit Diplomatie und Kompromissen, sondern ihn gewinnen, koste es, was es wolle. Unsere Waffenlieferungen, Sanktionen und Milliardenhilfen befeuern eine monate- oder jahrelange Eskalationsspirale, die zu immer mehr Zerstörung, Toten und Flüchtlingen führt. Der Preis der Freiheit wird eine völlig zerstörte Ukraine sein und die Ausweitung des Krieges auf andere Länder – Europäer sollen frieren für die Ukraine, Afrikaner hungern und sterben, möglichst die ganze Welt für den ukrainischen Widerstand rekrutiert werden, als zivile Söldner für einen größenwahnsinnigen, selbstmörderischen Patriotismus gegenüber der russischen Atommacht? Wollen wir in ständiger Bedrohung durch Atomkrieg, Energieembargo und Cyberattacken leben, die Wirtschaft und Infrastruktur lahmlegen? Ukrainer sind nicht die Einzigen, die außerhalb der EU-Grenzen für Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen. Warum unterstützen wir nicht Tibeter, Kurden, Sahrauis und Palästinenser mit Panzern und Sanktionen?

Sabine Matthes, München