Da ticken keine Bomben

Ein bisschen Foltern geht nicht, Oskar Lafontaine! Eine Entgegnung von Claudia Roth, Grünen-Vorsitzende

Oskar Lafontaine hat in der Bild-Zeitung für eine Einschränkung des Folterverbots plädiert. In der taz hat er das am Dienstag wiederholt. Als Foltermethoden hatte er bereits hungern und dursten genannt. Den Grünen wirft er „Prinzipienreiterei“ vor, weil sie am Folterverbot ohne Ausnahme festhalten. Lafontaines Plädoyer ist üble Demagogie. Er hat keine Ahnung von Menschenrechtspolitik und ihren Problemen. Er benutzt neuerdings nicht nur eine Sprache des Dritten Reiches, er bedient auch den Starker-Mann-Diskurs auf dem Rücken von Folteropfern.

Wer die Möglichkeit der Folter erwägt, begibt sich auf einen Weg, der außerhalb des Grundgesetzes endet. In Deutschland sind die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und das Bekenntnis zu den Menschenrechten als oberste Werte in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben. Auch viele internationale Verträge und Abkommen schreiben aus gutem Grund das Folterverbot fest. Unter anderem die UN-Anti-Folter-Konvention, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die Menschenrechtskonvention des Europarates und das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.

Wenn Lafontaine für die Aufweichung des Folterverbots eintritt, dann stellt er in Frage, was die Menschenrechts- und Antifolterbewegung mühsam erkämpft hat. Und er tut das in einer Zeit, in der Missstände wie in Guantánamo und Abu Ghraib die Welt erschüttern und das Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie diskreditieren.

Das Folterverbot gilt auch im Fall Daschner, auf den Lafontaine sich berufen möchte. Im Verfahren gegen Daschner zeigte sich, dass die Folterdrohung – die ja selbst Folter ist – keineswegs eine Entweder-oder-Situation zur Rettung eines Menschenlebens war. Vielmehr gab es unter den direkt ermittelnden Beamten deutlich Widerspruch zum Vorgehen von Daschner. Der Leiter der Sonderkommission und der Polizeipsychologe hatten sich ein Bild vom Tatverdächtigen gemacht und setzten auf die Gegenüberstellung des Täters mit der Schwester des entführten Kindes, um dessen Aufenthaltsort zu ermitteln.

Daschner als Vizepolizeipräsident intervenierte und setzte seine Strategie durch. Das Kind war zum Zeitpunkt dieser Intervention bereits tot.

Die Argumente von Lafontaine und anderer Folterbefürworter haben sich angesichts dieser Fakten blamiert. Aussagen des Bedauerns oder Fehlereingeständnisse sind mir aber nicht bekannt. Lafontaine ist immer noch bereit, elementare rechtsstaatliche Regeln über Bord zu werfen.

Foltergegner sind keine Prinzipienreiter. Im Unterschied zu den Folterbefürwortern wissen sie, dass jede Ausnahme vom Folterverbot in schlimme Grauzonen führt. Die Wirklichkeit der Folter ist nicht die der spekulativen „Ticking Bomb“-Szenarien, denen auch Lafontaine auf den Leim geht.

Auch Oskar Lafontaines Vorschlag, nur ein bisschen zu foltern, ist nicht neu, aber stets gescheitert. Folter lässt sich nicht auf bestimmte Fälle eingrenzen. Ein Staat, der zu foltern anfängt, gerät auf die schiefe Bahn. Das ist die Einsicht, die sich aus vielen tausend Folterfällen ergeben hat. Folter etabliert sich rasend schnell, wenn man ihr Raum gibt. Sie führt den Rechtsstaat in die Katastrophe.