: Die Frühgeschichte antikolonialer Befreiung begann mit ihm
„Herrschaft und Knechtschaft“ auf Haiti: Sudhir Hazareesingh erzählt das Leben des Toussaint Louverture, der Ende des 18. Jahrhunderts einen Sklavenaufstand organisierte und ein Theoretiker des Republikanismus war
Von Micha Brumlik
Was als Dekolonisation bezeichnet wird, nahm früher als allgemein bekannt seinen Anfang: nämlich bereits mit der Französischen Revolution. Sie begann ereignisgeschichtlich gesehen am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille in Paris und war ein Ereignis, das auch Frankreichs Kolonien berührte. Etwa die karibische Insel Haiti. War sie doch eine zentrale Produktionsstätte von Zucker, ohne den die neue bürgerliche Droge, der Kaffee, nur schwer genießbar war. Erzeugt wurde der Süßstoff jedoch von Sklaven. Entsprechend bestand Haitis Bevölkerung zu 90 Prozent aus schwarzen Sklaven; die anderen 10 Prozent der Bevölkerung setzten sich zu annähernd gleichen Teilen aus Weißen und Mischlingen, sogenannten Mulatten, zusammen.
Nicht zuletzt der ökonomischen Bedeutung der Zuckerproduktion wegen war die neugewählte republikanische Nationalversammlung, der Konvent, 1791 nicht willens, den im Jahr 1685 erlassenen „Code Noir“, der die Sklaverei erlaubte und regelte, aufzuheben. Das aber führte dazu, dass sich die schwarze Sklavenbevölkerung Haitis unter Führung von François-Dominique Toussaint Louverture (1743–1803) gegen die französische Herrschaft erhob – in einem Aufstand, der unter anderem in einer Reihe grausamer Massaker an weißen französischen Kolonialherren endete.
Sudhir Hazareesingh: „Black Spartacus“. C. H. Beck Verlag, München 2022. Aus dem Englischen von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler. 551 Seiten, 34,95 Euro
So hat die US-amerikanische Philosophin Susan Buck-Morss in ihrer Studie „Hegel und Haiti“ schon vor mehr als zehn Jahren nachgewiesen, dass Toussaint Louverture das Vor- und Urbild für Hegels in der „Phänomenologie des Geistes“ behandeltes Thema von „Herrschaft und Knechtschaft“ war. Diesem noch immer zu unbekannten Mann gilt die jetzt in deutscher Übersetzung erschienene Biografie „Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture“, verfasst von dem mauritianischen Historiker Sudhir Hazareesingh. Das außerordentlich quellengesättigte Werk berichtet in allen Details vom Leben eines Mannes, der, als schwarzer Sklave geboren, zum Befehlshaber unterschiedlichster Armeen von ehemaligen Sklaven wurde – von Armeen, die sich sowohl gegen britische, spanische, aber vor allem gegen französische Truppen zu behaupten hatten.
Doch war Toussaint Louverture weitaus mehr als nur ein Heerführer, nämlich auch ein begnadeter Theoretiker des Republikanismus sowie ein verfassungsgebender Staatsmann. Dazu disponierten ihn sowohl seine tiefe Religiosität als auch sein Freiheits- und Gerechtigkeitswille. So war er vom katholischen Glauben ebenso geprägt wie von unterschiedlichen Formen des synkretistischen Voudoukultes, der auf Haiti zumal von schwarzen Sklaven ausgeübt wurde, von Sklaven, die sich durch die Riten dieses Kultes darin bestärkt sahen, einen Freiheitskampf auf Leben und Tod zu wagen.
Nicht zuletzt dieser Kämpfe wegen schuf der französische Konvent 1793 den „Code Noir“ denn doch förmlich ab; jedoch nicht für lange Zeit, da die neue, freiheitliche Verfassung Haitis 1801 von Napoleon – damals noch Erster Konsul der Republik – wieder aufgehoben wurde. Es war Napoleon, der ein französisches Expeditionskorps nach Haiti entsandte, das Toussaint Louverture verhaftete und nach Frankreich deportierte.
Der 1743 als Sklave geborene Toussaint starb 1803 an den Folgen der Haft im Französischen Jura und wurde 1804 von Jean-Jacques Dessalines (1758–1806) beerbt, der 1804 förmlich die Unabhängigkeit Haitis und sich selbst zum Kaiser erklärte – die weltgeschichtlich erste Unabhängigkeitserklärung einer europäischen Kolonie. Wer sich über die Frühgeschichte antikolonialer Befreiung informieren möchte, wird um diese Lebenserzählung nicht herumkommen, muss sich aber mit Geduld wappnen, ist sie doch so detailliert gehalten, dass ein kurzer Blick bei Weitem nicht ausreicht.
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