Ausgehen und rumstehen von Andreas Hartmann
: Abendgestaltung in der Übungsphase

Nach der langen Zwangspause kann es schon passieren, dass man die Praxis des Ausgehens nicht mehr so richtig beherrscht. Wenn dann noch hinzukommt, dass die Veranstaltungsbranche sich auch erst einmal wieder eingrooven muss, eigene Planlosigkeit also auf organisatorisches Durcheinander trifft, kann es schon mal passieren, dass man bei der Abendgestaltung den Überblick verliert. Und demzufolge beim Konzert der hochinteressanten kanadischen Band Jerusalem In My Heart erst dann landet, als diese schon die Aftershowparty eingeläutet hat. Was in diesem Fall bedeutete: ein paar Leute standen in einem Laden in einem Hinterhof in der Köpenicker Straße herum, tranken Bier und berichteten einem davon, was man gerade alles verpasst hat.

Ursprünglich war das Konzert von Jerusalem In My Heart im Friedrichshainer Club Urban Spree angekündigt gewesen. Irgendwann verschwand diese Information von dessen Homepage und dann war nur noch von besagtem Hinterhofladen die Rede. Und das war dann der Moment, wo ich langsam durcheinandergekommen sein muss. Mit einer falschen Startzeit im Kopf ist am Ende das passiert, was passieren musste: Bei meiner Ankunft um 22 Uhr war eben schon alles gelaufen.

Zig Instrumente standen immer noch in dem Mini-Club herum, die Konzertbesucher, die ganz offensichtlich weniger verpeilt waren als ich, wirkten allesamt ziemlich gut drauf und verstärkten bei mir nur noch das blöde Gefühl, echt etwas verpasst zu haben.

Pünktlicher Beginn

Als wüssten die Organisatoren des zweiten Konzerts, dem ich am Wochenende beiwohnen wollte, dass man gerade den Leuten wieder neu das Besuchen von Events beibringen muss, wurde ich bei diesem erneuten Versuch extra darauf hingewiesen: keine Vorband heute, einigermaßen pünktlicher Beginn. Das hab dann sogar ich verstanden. Und kam absolut rechtzeitig, um Thundercat im gut gefüllten Club Astra zu erleben.

Was gleich auffiel: Von der Eigenverantwortung, dem ewigen Credo der FDP, war hier nicht allzu viel zu spüren. Trotz Gedränge und Geschiebe fiel man hier als Maskenträger auf wie ein Zweifach-Geimpfter plus Booster auf einer dieser Querdenker-Demos, die es ja erstaunlicherweise immer noch geben soll.

Thundercat ist ein begnadeter Showman, der sich bei Basskollege Bootsy Collins abgeschaut zu haben scheint, dass ein besonderer Look schon die halbe Miete ist, wenn man auf der Bühne auffallen möchte. Aber bei dem, was er da mit seinem Trio fabrizierte, bekam ich irgendwann auch das Gefühl, hier hätte ich ruhig auch ein paar Minuten zu spät kommen können.

Thundercat war ein Derwisch auf seinem Instrument, der Drummer servierte aufsehenerregende Breaks im Minutentakt und der Typ an den Synthesizern konnte die kompliziertesten Akkorde im Schlaf spielen.

Doch auf die Dauer wirkte derart perfekt servierter Jazzrock mit einem Hauch von Prince leicht ermüdend. Irgendwann hoffte ich, es würde sich vielleicht doch mal einer verspielen bei dieser Hochgeschwindigkeitsmusik, aber da hoffte ich natürlich vergeblich.

Amüsant waren noch die ganzen Geschichten, die Thundercat zum Besten gab. Dass er Berlin so möge, weil er sich hier verliebt habe, dass er schon hier war, als er noch Bassist bei der Skate-Trash-Band Suicidal Tendencies war und dass „The Big Lebowski“ sein absoluter Lieblingsfilm sei. All diese doch recht unterschiedlichen Informationen konnte er in einer einzigen Bühnenansage unterbringen und miteinander verbinden, so wie Funk, Soul, Hip Hop und Fusion-Jazz in seiner Musik. Respekt dafür, aber keine wirkliche Begeisterung.