Globale Peacequeens

Weltweit gesucht: 1.000 Frauen, die sich mutig und engagiert für Frieden und Freiheit einsetzen

VON UTE SCHEUB

Gestern jeweils um zehn Uhr Ortszeit sammelten sich rund um den Globus neugierige JournalistInnen. In der Lingnan-Universität von Hongkong, in der Schweizer Botschaft von Amman, im Kongresspalais von Bamako (Mali), im Hotel Intercontinental in Taschkent (Usbekistan) oder in Hamburg bei der Filia-Stiftung. Es ging überall um das Gleiche: um die Namen der tausend Frauen, die nach dem Willen der Schweizer Projektinitiatorinnen in diesem Jahr den Friedensnobelpreis bekommen sollen. Drei Frauen sollen ihn dann stellvertretend für die tausend entgegennehmen, denn nach der Satzung der Nobelpreisstiftung dürfen höchstens drei Personen nominiert werden.

Die Idee dazu kam der Schweizer National- und Europarätin Ruth-Gaby Vermot auf ihren zahllosen Reisen durch Flüchtlingslager in Bosnien, Serbien, Georgien und Tschetschenien. Überall, berichtete sie 2003, „überall treffe ich auf Frauen, die unter äußerst gefährlichen Bedingungen Aufbau- und Friedensarbeit leisten. Sie beschaffen unter schwierigen Umständen Medikamente, suchen nach Vermissten, fordern Nahrung für Hungernde. Sie verurteilen unerbittlich Folter, Mord und Verschleppungen und dokumentieren mit geheimen Fotos die Gräueltaten der Kriegsparteien. Sie gehen auf die Straße und halten gegen den Willen der Behörden auf öffentlichen Plätzen Mahnwachen. Mutig, zielstrebig und ohne Rücksicht auf die eigene Person verlangen sie Frieden.“

Außerhalb ihres Wirkungskreises aber kennt niemand diese Frauen, weil sie meist auf Graswurzelebene arbeiten. Dabei ist ihr persönliches Risiko weit größer und ihre Motivation weit altruistischer als die vieler zweifelhafter Staatsmänner, die seit 1901 den Preis gewonnen haben – man denke nur an Henry Kissinger oder Jassir Arafat.

Also wurde im Frühjahr 2003 in Bern der Verein „1000 Frauen für den Friedensnobelpreis“ gegründet. Finanziell unterstützt von der Schweizer Außenministerin Micheline Calmy Rey, machten sich die Mitarbeiterinnen auf die Suche nach tausend Frauen. Bis 2004 konnten weltweit Nominationsformulare von der siebensprachigen Website heruntergeladen und Kandidatinnen benannt werden. Insgesamt zwanzig regionale Koordinatorinnen, für jede Weltregion eine, sorgten dafür, dass das Projekt auch in abgelegenen und internetlosen Gegenden bekannt gemacht wurde. Jedes Land bekam, je nach Bevölkerungsgröße und Krisenintensität, eine Quote zugeteilt, Spitzenreiter waren Indien mit 91, China mit 81 und Brasilien mit 52 Nominationen. Die Frauen mussten bestimmte Kriterien erfüllen: Unter anderem sollte ihre Arbeit gewaltlos, nachhaltig, beispielhaft, uneigennützig und transparent sein. Ende 2004 waren zweitausend Vorschläge aus 150 Ländern eingegangen, daraus stellten die Koordinatorinnen tausend Namen zusammen und schickten im Frühjahr drei Namen nach Oslo – auf dem Briefpapier waren in dezentem Orange alle tausend Frauen aufgelistet. Da beim Friedensnobelpreis nur Regierungsmitglieder ein Vorschlagsrecht haben, unterzeichneten Außenministerin Calmy-Rey, Bundesrätin Vermot und Europarätin Zapfl das Schreiben.

Am 14. Oktober wird das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung bekannt machen. Die Chancen stehen nicht schlecht: Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist das vom norwegischen Parlament gewählte fünfköpfige Komitee mehrheitlich weiblich. Zudem hat es mit der Preisverleihung an die iranische Menschenrechtlerin Shirin Ebadi und die kenianische Umweltaktivistin Wangari Maathai in den letzten beiden Jahren bewiesen, dass es einen neuen Begriff von Frieden und Sicherheit bevorzugt. Staatsmänner und Warlords sind out, Friedensqueens in.

Und wenn es doch nicht klappt? Auch dann seien ihre Anstrengungen nicht umsonst gewesen, sagt Projektkoordinatorin Maren Haartje. Schon jetzt sei ein weltweites Netzwerk entstanden, das Frauen, die sich mutig exponieren, zumindest ansatzweise zu schützen vermag. Zudem werde das Projekt umfangreich dokumentiert: durch eine Wanderausstellung, ein Buch, einen Film und eine Internetplattform. Wissenschaftlerinnen der Universität Bern werten den Datensatz aus, um tausend praktische Friedensstrategien zu dokumentieren.

Und wer sind nun die tausend Auserwählten? Auffällig viele begreifen sich als Internationalistinnen und arbeiten nicht unbedingt im eigenen Land. Die Inderin Krishna Ahooja-Patel stand der rührigen „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Genf als Präsidentin vor. Die costa-ricanische Juristin Elizabeth Odio Benito, Vizepräsidentin des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, setzt sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte ein. Die Exilirakerin Susan Ahmed kämpfte sowohl gegen die Diktatur Saddam Husseins als auch gegen die US-Invasionen. Die Hebamme Helen John widersetzt sich mit Blockaden der größten US-Spionageanlage der Welt im britischen Menwith Hill.

Für die Bundesrepublik wurden insgesamt 15 Frauen nominiert. Die türkischstämmige Anwältin Seyran Ates kämpft gegen Ehrenmorde und häusliche Gewalt. Die gebürtige Kroatin Bosiljka Schedlich betreute und therapierte Kriegsopfer aus Exjugoslawien. Die Italienerin Monika Hauser und die Deutsche Judith Brand bauten Frauenprojekte in Bosnien auf. Maria Christina Färber versöhnt Familien in Albanien, die sich Blutrache geschworen haben. Und, und, und … Wie sagte doch eine der Koordinatorinnen, die ehemalige afghanische Frauenministerin Sima Samar: „Wie gut zu wissen, dass wir alle gleichzeitig und überall zusammenarbeiten.“

Die Liste der tausend Frauen findet sichauf www.1000peacewomen.org.Sieben der tausend Nominierten sind indem Buch „Friedenstreiberinnen“ vonUte Scheub porträtiert worden,erschienen 2004 im PsychosozialVerlag, Gießen.