Als die kommunalen Bilder laufen lernten

Erst durch ein Gerichtsurteil konnten sich die kommunalen Kinos gegen den Widerstand privater Lichtspieltheater etablieren. Seit 50 Jahren stehen sie für ein politisches und cineastisches Programm, das man in kommerziellen Häusern oft vergeblich sucht. Zudem gibt es sie auch an Orten, wo sich private Kinos nicht lohnen würden. Und die Netflix-Konkurrenz sehen viele von ihnen gelassen

Reinhard Wolf, Cinémayence

Von Joachim Göres

Vor 50 Jahren hat das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main ein wegweisendes Urteil für alle Ki­no­freun­d:in­nen gefällt. Betreiber kommerzieller Lichtspieltheater hatten gegen das kommunale Kino der Stadt Frankfurt geklagt und dessen Schließung verlangt. Sie sprachen von unzulässiger wirtschaftlicher Konkurrenz, die rechtswidrig mit Steuergeldern gefördert werde. Es „bestehe kein Bedürfnis für ein kommunales Kino, die vorhandenen kommerziellen Filmtheater seien in der Lage, den Bedarf der Bevölkerung zu decken“, fasst das Verwaltungsgericht Frankfurt die Position der Kinobetreiber zusammen. Die Richter kommen dagegen zu einem anderen Ergebnis: In ihrem Urteil vom 28. Januar 1972 weisen sie die Klage zurück. Darin betonen sie: „Neben den traditionell anerkannten öffentlichen kulturellen Einrichtungen wie Theater, Konzert, Museen, Bibliotheken und andere ist heute auch das Kino ein Träger von Kulturgut.“ Das Datum gilt als die Geburtsurkunde der kommunalen Kinos in Deutschland, die daraufhin in vielen Städten entstanden.

In Hannover startete das Koki 1974, anfänglich ebenfalls gegen Widerstände privater Betreiber. „1979 hat Hans-Joachim Flebbe uns einen Saal in seinen Raschplatzkinos vermietet. Das zeigt, dass wir bei den Kinobesitzern auch Fürsprecher hatten“, sagt Ralf Knobloch-Ziegan. Er ist seit 2015 Leiter des kommunalen Kinos und hat jährlich einen Etat von rund 180.000 Euro plus Personalkosten zur Verfügung. Vor der Pandemie kamen knapp 30.000 Besucher, 2021 waren es angesichts langer Schließzeiten nur noch ­10.000 Gäste. „Unser Publikum ist eher älter und viele Leute bleiben wegen Corona derzeit zu Hause“, sagt Knob­loch-Ziegan. Für sie gibt es ein Online-Angebot: Für 15 Euro kann man sich über cinemalovers.de für ein halbes Jahr zu Hause Filme anschauen, die vom Koki Hannover und anderen kommunalen Kinos ausgewählt werden.

Die kommerziellen Betreiber in Frankfurt hatten einst vor Gericht argumentiert, dass sich ihr Angebot nicht von dem der Kokis unterscheide. Ein Blick in das aktuelle Programm des kommunalen Kinos Hannover zeigt, wie falsch diese Aussage immer noch ist. Schwerpunkt im März sind Filme gegen den Rassismus. Außerdem gibt es neue Streifen aus dem Iran, Israel und Japan im Original mit deutschen Untertiteln sowie Filme aus den schon lange laufenden Reihen „Kirche und Kino“, „Psychoanalyse im Film“ und „Philosophisches Kino“. Eine Reihe ist dem Kameramann Sven Nykvist gewidmet, eine andere befasst sich mit der 68er-Bewegung.

Ohne kommunales Kino würden Cineasten in Eckernförde, Lehrte und Achim in die Röhre gucken – dort gibt es kein weiteres Lichtspieltheater. „Das Haus“ in Eckernförde ist auch Jugend-, Kultur- und Medienwerkstatt, wird hauptamtlich betrieben und komplett von der Stadt finanziert. Täglich, bis auf montags, finden zwei Vorführungen im 70 Personen fassenden Saal statt. Seit Kurzem werden verstärkt Familienfilme am Nachmittag gezeigt. Zudem gibt es neuerdings ein After-Work-Kino, um Menschen direkt nach der Arbeit ins Koki zu locken. „Das wird beides gut angenommen“, sagt der stellvertretende Leiter Tim Hessler.

Mehr als 150 öffentlich geförderte Kinos sind im Bundesverband kommunale Filmarbeit organisiert. „Durch Corona hat es keine Schließungen gegeben, aber einige Städte haben den Etat für ihr Koki gekürzt“, sagt Geschäftsführer Fabian Schauren. Er spricht von stabilen Zuschauerzahlen vor der Pandemie, die kommunalen Kinos würden von rund einer Million Menschen jährlich besucht.

Eine Konkurrenz stellen sie für die privaten Kinobetreiber nicht dar. „Einen neuen Blockbuster müssten wir täglich mindestens dreimal zeigen, um ihn vom Verleiher zu bekommen. Dazu sind Kokis gar nicht in der Lage“, sagt Reinhard Wolf, Leiter des Mainzer Cinémayence.

Wie sieht die Zukunft aus? Angesichts der Eröffnung von Kinos in den USA durch Netflix hält Holger Tepe, Leiter des Bremer kommunalen Kinos „City 46“, eine grundsätzliche Verschiebung für möglich: „Künftig könnte es nur noch kommerzielle Netflix-Kinos und subventionierte kommunale Kinos geben.“