Der Irrsinn mit den Extras

FLÜGE Die Anbieter von Billigflügen lieben Extragebühren. Sie steigern sich mehr und mehr in die Unübersichtlichkeit

Extras: Eigene Gebühren verlangen Billigfluganbieter zum Beispiel für Snacks, Getränke, eingechecktes Gepäck, Buchung per Telefon, alle möglichen Versicherung, sogar für Platzreservierung und Schnell-Check-In.

■ Klimaextra: Billigflieger haben das Flugaufkommen enorm erhöht – sie schaden der Umwelt. Easyjet zum Beispiel bietet gegen 1,56 Euro die Förderung eines Baumpflanzprojekts. Constanze Haug, Klimaexpertin von der Vrije Universiteit Amsterdam, sagt: „Die Angebote der Billigflieger sind meist genauso billig wie die Anbieter selbst.“ Zu empfehlen sei die gemeinnützige Organisation Atmosfair. Bei ihr kostet die Kompensation für einen Flug von Berlin nach Barcelona etwa zehn Euro.

VON CAROLIN PIRICH

Sie steckten fest. In Amsterdam und Athen, in Paris und Split warteten Passagiere darauf, dass SkyEurope sie nach Hause flog. Aber die Billigfluglinie stellte Anfang September über Nacht ihren Betrieb ein – in der Rückreisezeit. Tausende mussten sich ein neues Ticket bei anderen Fluggesellschaften kaufen. Wer etwas Galgenhumor hatte, konnte sich vielleicht mit der Überlegung aufheitern, dass nach all den Extragebühren, die bei der Buchung anfallen, nun eben noch eine Extragebühr eingeführt war: für die Kernleistung, für den Flug selbst.

Die Pleite der österreichisch-slowakischen SkyEurope weist nicht auf eine Branchenkrise hin. Der Grund dafür war nicht der Ölpreis, auch die Wirtschaftskrise ist diesmal nicht schuld. SkyEurope hatte zu viele zu billige Reisen angeboten, weshalb sie die Betriebskosten nicht decken konnte. Sie hatte sich verkalkuliert. Bei anderen läuft es: Germanwings, die Lufthansa-Tochter, steuert ab Oktober neun neue Ziele an; in die irische Ryanair sind im August 19 Prozent mehr Menschen gestiegen als im Monat davor; EasyJet beförderte im letzten Monat knapp 5 Prozent mehr Passagiere.

Die Zahl der Billigfluggesellschaften wird also nicht so schnell kleiner. Dafür steht zu befürchten, dass etwas anderes zunimmt: die Zahl und Vielfalt der extra berechneten Leistungen. So lief bisher die Entwicklung, und es spricht nichts dagegen, dass der Irrsinn weitergeht. Seit es sie gibt, frickeln die Manager von EasyJet bis Ryanair Leistungen aus dem Angebot heraus, die sie den Kunden getrennt berechnen.

Früher war Fliegen teuer, aber bequem. Die Kunden hießen Fluggäste. Man zahlte einen festen Preis und bekam in einem dicken Umschlag sein Ticket zugeschickt, als wäre es ein Geschenk. Oder holte es am Schalter ab, wo man auch seinen Koffer aufgab. Man wurde zur Maschine gebracht, stieg ein und bestellte sich, sobald die Flughöhe erreicht war, einen Tomatensaft. Dann kamen die Billigflieger, und mit ihnen die Verheißung, für 20 Euro nach Riga zu reisen. Oder für 0 Euro nach Paris.

Zuerst gingen die Manager an den Tomatensaft – wer mehr wollte, musste zahlen. Vom Grundpreis abgetrennt wurden sodann Flughafengebühr und Steuern, für die die Fluganbieter ja nichts können, die aber am Ende doch auf der Rechnung stehen. Dann wurde der Flugpreis in immer weitere Einzelteile zerlegt. Man konnte das für besonders transparent halten. Oder für ein Verschleiern des Preises.

Eingecheckte Gepäckstücke lassen sich viele Gesellschaften längst extra bezahlen, denn jedes Kilo kostet Kerosin; Ryanair erhöht von Oktober an wieder diese Gebühren. Wer sein Gepäck vorher online anmeldet, zahlt nicht mehr 10, sondern 15 Euro; wer das entsprechende Häkchen im Internet nicht setzt, zahlt am Schalter doppelt so viel. Die irische Fluggesellschaft überlegte im April sogar, eine „Fat Tax“ für füllige Menschen einzuführen, kam aber wieder davon ab, da die Idee nicht so gut ankam. Dafür würde sie es nach eigenen Angaben praktisch finden, wenn der Reisende künftig seinen Koffer selbst in den Gepäckraum trüge. Aus jedem Fluggast ist ein Kostenfaktor und aus jedem Kostenfaktor ein Schnäppchenjäger geworden. Oder war es umgekehrt? Jedes Extra will bezahlt, jedes Extra überlegt sein, und solche Gedanken kosten Geduld. Jochen Kühn, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Wuppertal, spricht vom „Involvement“ des Kunden; das Unternehmen spart Arbeitszeit und der Passagier investiert Freizeit. Manchmal kann man die Angebote so lange studieren, bis die Übersicht verloren geht. Kreditkartenzahlung ist teurer als Lastschriftverfahren, und das ist teurer als eine Extrakreditkarte der Fluggesellschaft, die wieder etwas kostet, aber das kann sich ja amortisieren.

Ryanair plant längst, für die Nutzung der Bordtoilette extra zu kassieren

Wer bei der Flugbuchung nicht aufpasst, hat dann möglicherweise für einen Flug von Berlin nach München eine Reiserücktritts-, Reisegepäck- und Reiseschutzversicherung abgeschlossen, ein Mietauto reserviert und natürlich das Gewissen erleichtert, durch ein von der „UN zertifiziertes“ Projekt für 1,56 Euro zur Kompensation des Kohlendioxidausstoßes. Gegen solche Tricks gibt es seit Mai eine EU-Verordnung; man muss jetzt nicht mehr die Häkchen vor einzelnen Angeboten herausnehmen, sondern wer kann und will, wählt sie an. Dafür erfinden Airlines andere Extras. Oder genauer: Sie machen etwas zum Extra, was früher selbstverständlich war.

Will ich schneller als die anderen sein und über einen Teppich zum Check-in-Schalter laufen? Häkchen setzen, zahlen. Will ich einen Sitzplatz reservieren, vorne, hinten, Fenster, Mitte, Gang? Häkchen setzen, zahlen. Will ich vor den anderen in die Maschine steigen oder an der Absperrung warten und denjenigen, die das Häkchen gesetzt und gezahlt haben, beim Einsteigen zuschauen? So ist das schon heute. Und demnächst? Besser, man geht noch am Boden aufs Klo, denn Pipimachen über den Wolken könnte bei Ryanair bald 1 Euro kosten, wie Unternehmenschef Michael O’Leary ankündigt, ernsthaft. Als dann im Juli eine chinesische Fluggesellschaft verkündete, sie arbeite an Stehplätzen in ihren Maschinen, fragte man sich, ob das nicht die Chance für einen neuen Extraposten wäre: die Gebühr fürs Sitzen.

Wenn es der Traum vom Fliegen war, schnell, bequem und stilvoll zu reisen, so hat ihn die Strategie der Preiszerlegung ins Absurde verdreht. Die Zeit verbringt man nicht im Stau oder im Zug, sondern vor dem Bildschirm. Und macht Häkchen. EasyJet, Ryanair und die anderen sagen, sie schenken einem Geld. Dabei klauen sie nur Zeit.