100 Tage Dreisamkeit

100 Tage Rot-Grün-Rot: Im Bildungsressort regiert
die Krise, die Kultur wird gerettet – und was macht
eigentlich die Innensenatorin? Drei Schlaglichter

Und es gibt sie doch: Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) Foto: Emma­nuele Contini/imago

Plötzlich Krisenmanagerin

Von Anna Klöpper

Die neue Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hatte wahrlich keinen leichten Start. Auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle musste sie sich zunächst um das pandemische Tagesgeschäft kümmern: eine Kraftprobe mit den Amtsärzten um Sinn und Unsinn der Kontaktnachverfolgung (die Busse verlor), Diskussionen um Personalengpässe in den Schulen mit der Gewerkschaft (die man nur verlieren kann), und Kitas, die sich als „Versuchslabore“ fühlten. Busse erlebte im Zeitraffer, was ihre Vorgängerin Sandra Scheeres (SPD) im taz-Interview zum Ende ihrer Amtszeit so erkannte: „Ich kann es keinem recht machen.“

Dann Ende Februar der Krieg. Wieder ist Busse direkt am Krisenmanagement beteiligt: Wie organisiert man Schul- und Kitaplätze und das nötige Personal für Kinder aus der Ukraine, deren Zahl noch nicht absehbar ist? Ob Busse als Krisenmanagerin hier eine bessere Figur macht als in der Pandemiefrage, werden erst die nächsten 100 und mehr Tage entscheiden. Im Moment ist da ihre Ansage von 3.000 aktuell freien Plätzen in Willkommensklassen und bis zu 4.000 zusätzlichen Kitaplätzen, die man bis August 2023 zur Verfügung stellen wolle.

100 Tage im Amt – für Busse 100 Tage Krisenbewältigung, und kein Ende in Sicht. Doch wenn man die Regierende Franziska Giffey (SPD) richtig verstanden hat, soll Busse genau das sein: Krisenmanagerin. Sie soll den Laden am Laufen halten, und ansonsten möglichst wenig tun. „Keine großen Reformen in den nächsten Jahren“, hatte die Chefin als Credo bei der Vorstellung des Koalitionsvertrag zu Bildung im November ausgegeben. Giffey hat andere Baustellen in dieser Legislatur, zuvorderst die Mietenpolitik, da kann sie eine allzu forsche Bildungssenatorin nicht gebrauchen.

Zwei Checks konnte Busse gleichwohl setzen für ihren Bereich im 100-Tage-Programm von Rot-Grün-Rot: 50 neue „Sprachkitas“ konnte Busse verkünden – also Kitas, die eine Art Bonusbudget für Sprachförderung bekommen. Und der Senat hat, wie angekündigt, die schrittweise Lehrerverbeamtung beschlossen.

Die Sprachkitas sind Bundesmittel, das Programm ist – sollte es denn tatsächlich über 2022 verlängert werden, wie die Ampelkoalition verspricht – ein Selbstläufer, mit dem man immer punkten kann als Senatorin. Es bewerben sich mehr Kitas, als es Fördermittel gibt, heißt es aus der Bildungsverwaltung.

Ansonsten nicht weiter stören

Kein Selbstläufer wird die Verbeamtung, da war der Senatsbeschluss noch der einfachste Teil. 7.000 Lehrkräfte, schätzt die Gewerkschaft, wird man nicht verbeamten können, weil sie zu alt sind oder die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Tarifexperten halten einen im rot-grün-roten Koalitionsvertrag versprochenen „Nachteilsausgleich“ für schwierig umzusetzen.

Auch da wird Busse wieder mit Krisenmanagement beschäftigt sein. Aber gut, die großen Reformen (Schulbauoffensive, Quereinsteigerprogramme) hat ohnehin ihre Vorgängerin angestoßen. Die kann sie weiterverwalten – und ansonsten, wenn es nach Giffey geht, nicht weiter stören.

Das politische Leichtgewicht

Von Uwe Rada

Doch, sie ist noch da. Sie ist keine Fantasiefigur wie der Bundestagsabgeordnete Jakob Mierscheid, den die SPD irgendwann erfunden hatte, in Zeiten, als sie noch Humor hatte. Regelmäßig versandte Mierscheid Pressemitteilungen, in denen er auch über das Mierscheid-Gesetz schwadronierte. Demzufolge standen die Wahlerfolge der SPD in Zusammenhang mit der Rohstahlproduktion im Land. Viel Output für eine Figur, die es gar nicht gab.

Doch Iris Spranger gibt es wirklich. Zuletzt ließ sie sich am 25. März sehen. Sie ist also nicht abgetaucht, und dennoch haben sich in den 100 Tagen, in denen Rot-Grün-Rot Berlin regiert, viele gefragt: Wo ist Spranger? Anders als bei Mierscheid muss man bei der SPD-Innensenatorin also festhalten: Wenig Output für eine Figur, die es tatsächlich gibt.

Vielleicht hat es auch mit ihrer Personalpolitik zu tun. Bis heute hat die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport keine Pressesprecherin oder einen Pressesprecher. So kam es, dass eine Anfrage der taz, ob Berlin auf einen möglichen Krieg in der Ukraine vorbereitet sei, gestellt zwei Tage vor dem Einmarsch Russlands am 22. Februar, erst am 9. März beantwortet wurde. Interessant ist dabei ein „Zitat“ der Senatorin als Antwort auf eine angebliche Frage, die am 22. Februar noch gar nicht gestellt werden konnte: „Wir stehen solidarisch an der Seite der Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten müssen.“

Spranger will gut dastehen, will zeigen, dass sie die Richtige ist, obwohl alle wissen, dass sie die zweite Wahl war. Denn mit Innenpolitik hatte die 60-Jährige bis zu ihrer Ernennung als Senatorin nichts zu tun, ebenso wenig wie mit Digitalisierung. Als Baupolitikerin galt sie dagegen als gesetzt, das Bauressort von der Linken für die SPD zurückzuerobern. Doch davor schreckte die Regierende Bürgermeisterin zurück. Die Zahl der gebauten Wohnungen ist die Währung, mit der der Erfolg der SPD gemessen wird. Da vertraute Franziska Giffey lieber einem politischen Schwergewicht wie Andreas Geisel.

Dass Spranger eher ein Leichtgewicht ist, fällt auch in der Ukraine-Krise auf. Es sind Giffey und Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke), die die Fluchtbewegung aus dem Kriegsland managen. An jenem 25. März durfte aber Iris Spranger mit der Regierenden einen Pressetermin absolvieren. Es ging um ein Onlinetool zur Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis. Es war ein wenig von Ich-bin-auch-noch-da einer Senatorin, die Berlin ins papierfreie Zeitalter katapultieren soll.

Und kurz vor Drucklegung des Textes meldete sie sich noch einmal. Das Zitat im Radio, das hängen bleibt, lautet: „Wir sind der Meinung, und das unterstreiche ich auch als zuständige Senatorin, dass …“ Und der Rest des Satzes? Schon wieder vergessen.

Der bewährte Retter

Von Susanne Messmer

Um Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der nach den Berliner Wahlen als einziger im Senat sein Amt behalten hat, war es von Beginn der Legislaturperiode bis zum heutigen Tag nicht gerade brüllend laut. Das liegt aber vor allem daran, dass die Allerwenigsten auf sein Ressort schauten, als in Europa der Krieg ausbrach und plötzlich Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine in der Stadt ankamen und versorgt werden mussten.

Mit Sicherheit hatte es auch Vorteile für Lederer, erst einmal unterm Radar fliegen zu dürfen. Denn so konnte er sich weiter mit aller Kraft auf das konzentrieren, was er bereits vor zwei Jahren begonnen hat und was nach wie vor bitter notwendig ist: Berlins durch die Pandemie stark bedrohte, weil ohnehin traditionell prekäre Kulturszene zu retten.

Denn auch, wenn die Menschen nun wieder in Clubs tanzen, ins Theater und Konzert, zur Lesung und ins Museum dürfen: Die Corona­krise hat tiefe Löcher in die Kassen vor allem der mittleren und kleinen Kulturbetriebe gerissen. Ein Ende der wenig öffentlichkeitswirksamen Krise der Kultur ist auch deshalb noch nicht in Sicht, weil erstens nach wie vor die Tou­ris­t*in­nen fehlen und sich zweitens noch immer weniger Menschen zu Kulturveranstaltungen trauen oder aufraffen als vor der Pandemie.

Was Lederer bewegen kann, um die so betroffenen Einrichtungen zu stabilisieren, bewegt er anders als der Bund und andere Bundesländer seit Beginn der Pandemie – und wird auch deshalb von großen Teilen der Berliner Kulturschaffenden sehr geschätzt. Das heißt im Augenblick: Er hat wie vor 100 Tagen versprochen die Soforthilfe IV verlängert, eine Art Liquiditätshilfe fürs pure Überleben. Nun wird aller Voraussicht nach im Parlament die Reha beschlossen: eine Art Anschubhilfe unter dem Namen Perspektive Kultur, die den Einrichtungen ab dem Sommer einen Neustart ermöglichen soll. Diese Hilfe wurde mit Ak­teu­r*in­nen der Kulturbranche erarbeitet, für die beiden Haushaltsjahre 2022/2023 sind hierfür 40 Millionen Euro vorgesehen. Die konkrete Ausgestaltung des Programms erfolgt in den kommenden Wochen.

Und noch ein Häkchen

Und dann hat Lederer noch ein Häkchen in seinem Bereich des 100-Tage-Programms von Rot-Grün-Rot gesetzt: Der Kultursommer ist auf einem guten Weg, der dieses Jahr im Rahmen von Draußenstadt kuratierte, kostenlose, barrierearme und spontan zu erlebende Kulturveranstaltungen in alle Bezirke Berlins bringen wird. Starttermin ist der 18. Juni, enden wird der Kultursommer Mitte September. Ab dem 4. April können sich Kulturschaffende um Förderung bewerben. Erst nach Eingang der Bewerbungen wird sich herausstellen, wie sich das Programm gestaltet und ob es, wie Lederer in einem Interview mit der taz befürchtet hat, überhaupt noch genug Ver­an­stal­te­r*in­nen in dieser schwer gebeutelten Stadt gibt, die ein solches Event auf die Bühnen bringen können. So oder so: Der Kultursommer wird stattfinden – und sicher wird es dann um Klaus Lederer auch wieder geräuschvoller werden.