LESERINNENBRIEFE
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In diesen eher schwerfälligen Wahlkampfwochen kommt es eher selten vor, dass ein Interview mit einer PolitikerIn so schnell so viel Resonanz hervorruft. Die Einlassungen von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) zur Piratenpartei standen kaum auf taz.de, und schon wurden sie tausendfach geklickt und heftig kommentiert. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Forderung der SPD-Politikerin, dass jeder eine „unverwechselbare IP-Adresse“ bekommen soll. Die darauf folgende heftige Reaktion ist für uns Anlass genug, eine ganze Seite der gedruckten Zeitung zur Verfügung zu stellen, um die Internet-User zu Wort kommen zu lassen. Wundern Sie sich nicht über das Format: Anders als beim „klassischen Leserbrief“ ist es im Netz auch üblich, sich unter Pseudonym an Diskussionsforen zu beteiligen. Deshalb zum Teil die ungewöhnlichen Namen. Der taz-Redaktion liegen allerdings die E-Mail-Adressen aller DiskutantInnen vor. Mehr dazu unter www.taz.de.

Die Demo: Die Demonstration „Freiheit statt Angst“ startet am 12. September um 15 Uhr am Potsdamer Platz in Berlin. Über 150 Organisationen und Gruppen aus unterschiedlichen Spektren unterstützen den Protest für Datenschutz und gegen Vorratsdatenspeicherung.

Der Live-Ticker: Auf taz.de läuft am 12. September ab 14 Uhr ein Live- Ticker zur Demonstration

Klartext geredet

■ Von equinox

Richtig so, endlich redet sie Klartext. Keine Angst, sich in einem Interview ausführlich mit nur einer Partei auseinanderzusetzen, dabei haben die Piraten gar nicht so viel Aufmerksamkeit verdient. Mein Albtraum ist aber wirklich, dass die Piratenpartei mangels Wahlbeteiligung auf 5 % kommt und dann die Kombinationen von SPD + Grün oder CDU + FDP nur auf 46 % kommen und sich mit den Piraten einlassen, die dank ihres einzigen Wahlkampfpunktes für alle bis auf den einen Kompromiss bereit sind.

Fassung verloren

■ Von Ralf

Nach dem Lesen dieses Interviews habe ich wirklich Mühe, meine Fassung zurückzugewinnen. Ist das Kaltschnäuzigkeit oder Beratungsresistenz?

Demokratie pur!

■ Von Hans Preckel

Mein Gott, das strotzt ja nur so von juristischer Unkenntnis. Ist das Absicht, Frau Zypries? Zustimmung zum Gesetz von Frau von der Leyen: Hat nicht der Expertenrat, extra dazu einberufen, von Internetsperren abgeraten? Hat nicht das Online-Kompetenzteam von Internetsperren abgeraten und als Konsequenz aus dem Beschluss die Brocken hingeschmissen? Klar, alles nur Idioten, auf die man nicht hören muss. Deshalb beruft man die auch in einen Expertenrat. Selbst die Kritiker in der eigenen Partei hat man mundtot gemacht. Demokratie pur!

Der Verdacht

■ Von Guybrush

Der Verdacht aller Gegner des Gesetzes bestätigt sich in diesem Interview. Frau Zypries spricht nicht allein von Kinderpornografie, sondern auch ganz offen von Urheberrechten. Ich bin mir felsenfest sicher, dass sie nicht die angesprochenen Kreativen meint, sondern Medienkonzerne.

Viele Fragen

■ Von Meier&Poehlmann

Eine Bundesministerin beantwortet derart viele Fragen zu einer Partei, deren bestes Wahlergebnis bisher bei 0,9 % lag. So etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Daran kann man erkennen, was für eine große politische und gesellschaftliche Bedeutung Frau Zypries der Piratenpartei in Wahrheit zukommen lässt.

Wahlverdruss wird Wut

■ Von Lethargo

Frau Zypries, ich habe gelesen, was Sie sagten, und für mich hört sich das so an: „Buäh, die doofen Piraten sind ja gar keine echte Partei!“ Stimmt Frau Zypries, die Piraten sind Partei gewordener Protest. Und was sagt Ihnen der Fakt, dass Protest bereits Partei werden kann? Na? Das Prinzip „Wahl des kleinsten Übels“ hat ausgedient, sobald ein gewisses Niveau unterschritten wird. Wenn Wahlverdruss in Wut umschwingt, kommt halt so was dabei raus. Ich will Ihnen, im Gegensatz zu einigen Ihrer Kollegen, mal unterstellen, dass es keine egoistische Boshaftigkeit, sondern schlicht Inkompetenz ist, die zu Ihren Entscheidungen (oder denen Ihrer Lobbyisten?) führt. Ob das jetzt allerdings unbedingt besser ist, weiß ich auch nicht so genau.

Zweitstimme ist Piratenstimme

■ Von Jakob Kreutz

Schade, dass die Interviewer die Diskussion nicht auf die anderen, noch viel wichtigeren Themen der Piraten gelenkt haben: das Recht auf kostenlose und freie Bildung! Denn nur Bildung schafft Verantwortung, und die ermöglicht Freiheit. Oder das allerwichtigste Thema der Piraten: keine Patente auf Lebewesen. Konservativ kommt von conservare – erhalten, bewahren. Wenn Fau Zypries damit meint, dass die Piraten die Grundrechte erhalten und bewahren wollen, dann kommt sie dem eigentlichen Kern dieser Partei schon näher. Hoffentlich wird es nie eine Diskussion über die Bürgerrechte im Internet auf Bundes- oder EU-Ebene geben ohne die Piratenpartei, denn wenn ich Frau Zypries so zuhöre, habe ich ein mulmiges Gefühl, wo das hinführen könnte. Ich wähle im Übrigen gegen Atom, gegen GEN und für Bürgerrechte. Es gibt ihn nämlich, den Themenwähler. Ich bin einer davon, Frau Zypries. Die Leute wollen mehr als ein Heiße-Luft-Rundum-sorglos-Paket, welches sowieso platzt, sobald man ihm näher kommt. Und wenn Ihre Partei irgendwann mal wieder auf die Themen setzt, die den Menschen wirklich wichtig sind, und wenn Sie es dann schaffen, auch eine Politik im Interesse Ihrer Wähler zu machen, dann wählt vielleicht auch bald mal wieder jemand SPD. Ich werde sie diesmal nicht wählen, aber ich wünsche der Linken und Lafontaine alles gute. Zweitstimme ist Piratenstimme.

Angst vor Mainstreampresse

■ Von Thorsten Kuhn

Die Einführung der Internetzensurinfrastruktur ist nur ein Thema unter vielen, ja. Aber bei diesem Thema hat man gesehen, dass die SPD trotz sachlicher Argumente dagegen und der bisher größten E-Petition lieber das macht, was ihr wahltaktisch am besten erscheint. Sie hatten – vermutlich berechtigte – Angst davor, dass die Mainstreampresse unter Führung der Bild-Zeitung die SPD als Kinderschänderpartei hinstellen würde. Aber warum soll ich eine Partei wählen, die nicht das macht, was ihr Fachleute raten, sondern das, wozu sie die Bild-Zeitung treibt? Dieses Verhalten muss ich doch auch bei anderen Themen befürchten. Im Übrigen ist z. B. auch die Rente mit 67 unseriös. Keiner weiß, wie viele Arbeitsplätze es in 20 Jahren noch geben wird. Z. B. beginnt man jetzt gerade, Kassierer in Läden wegzurationalisieren (Saturn, Ikea). Die Rente mit 67 wäre damit eine reine Rentenkürzung. Aber das wird von der SPD nicht gesagt. Und die vier Millionen Arbeitsplätze, die Steinmeier schaffen will, halte ich auch nicht für seriös. Also warum nicht lieber eine Partei wählen, die zwar nur wenige Punkte im Parteiprogramm hat, von denen ich aber weiß, dass sie richtig sind.

War ja wohl nichts

■ Von Neupirat

Da wollte sie dem Wahlvolk mal so richtig einbläuen, dass die Piraten unwählbar sind – war ja wohl nichts, im Gegenteil: Wer dieses Interview liest, muss ja schon fast Piraten wählen. Außerdem: „Die Staaten dieser Welt sollten sich zusammensetzen und überlegen: Wie können wir dieses Internet einigermaßen sauber halten?“ Großartig, sieht man ja bei den Themen Finanzmarktkontrolle und Steueroasen, wie toll das funktioniert. „Das Internet sauber halten“, hallo? Nach der Performance im Interview wünscht sie sich wahrscheinlich, sie hätte ein Gesetz in der Hand, die taz sauber zu halten und die Veröffentlichung ihrer eigenen Blamage zu verhindern …

Piraten benutzen IPv6

■ Von Michael

Frau Zypries hat sich da ja echt mal weitergebildet. Aber am Ende verbreitet sie doch nur wieder die Unwahrheit. Beispiel: „Die technische Entwicklung geht mit Rasanz voran, wer weiß, ob wir nicht in fünf Jahren eine neue Generation des Internets haben. Vielleicht hat dann jeder Mensch eine individuelle IP-Adresse, die so unverwechselbar ist wie seine Telefonnummer?“ Nun, im Gegensatz zu Frau Zypries kennt jeder Techniker IPv6, den ewigen Nachfolger seit mittlerweile bald 20 Jahren. Sie redet vom Internet von morgen und bezieht sich dabei auf Technik von vorgestern. Dass die Auswirkungen von IPv6 den Piraten neu wären, ist lächerlich. So mancher Pirat gehört zu den wenigen, die diese Technik bereits seit Jahren einsetzen. Nur der Traum des digitalen Fingerabdrucks von Frau Zypries wird damit auch nicht wahr werden …

Ein Sachzwang nach dem andern

■ Von Peter Niebert

Es stimmt traurig, zu lesen, wie Brigitte Zypries den Einfallstorcharakter des Gesetzes leugnet, gleichzeitig aber fast ohne jede Distanz einen Sachzwang nach dem anderen aufzählt. Genau diese beiden Aspekte aber machen aus dem Gesetz einen Meilenstein auf einem Weg, den wir erst in ein paar Jahren oder Jahrzehnten kennen werden.

Politische und gesellschaftliche Veränderung beruhen nicht auf den Entscheidungen Einzelner und nicht auf Einzelentscheidungen, sondern sie sind Prozesse. Ich würde mir Politiker wünschen, die ihre Ohnmacht dem Prozess gegenüber zugeben und bedauern können, anstatt den Prozess insgesamt zu leugnen und ihm so zusätzlich den Weg zu bereiten.

Es fällt historisch am Gesetz die Tatsache auf, dass es von einer großen Koalition beschlossen wurde, wie 1969 die sogenannten Notstandsgesetze“, in denen erstmals gesetzlich das Kommunikationsgeheimnis aufgeweicht wurde. Eine Datenschutzpolitikerin sollte das doch merken. Eine konservative Regierung allein hätte solche Gesetze eher nicht beschlossen; die Initiative entsteht aus dem Profilierungszwang der Koalitionspartner, welche mit der öffentlichen Meinung taktieren wie bei einem Brettspiel. Das einzige, völlig unpolitische oder sogar antipolitische Ziel bei diesem Spiel ist Wahlkampf und individuelle Karriere.

Keine Ahnung, unwählbar

■ Von Noch so einer

Ich sag da nur: Keine Ahnung, arrogant, unwählbar! Also ehrlich, dass man sich so was bieten lassen muss, die gute Frau beteiligt sich massiv am Abbau von BürgerrecFrank Plasberg, Maybrit Illner, Peter Kloeppel und Peter Limbourg. hten und sagt dann, die Piraten seien ihr zu konservativ. Der Aufbau eines Überwachungsstaates, der zur totalitären Ausgestaltung nur so einlädt, ist in ihren Augen also was? Progressiv? Revolutionär? Sozial? Demokratisch? Und dann: Gut informierte Bürger, die sich massiv Sorgen um ihre Rechte machen, zu einem Lifestyle-Phänomen abzuklassifizieren, Unverschämtheit. Und dabei hat sie offensichtlich keine Ahnung von über 20 Jahre alter Kommunikationstechnik (sprich: Internet).

Weniger Grundrechte

■ Von Markus B.

Bis vor ein paar Minuten dachte ich nur, Zypries wäre nur inkompetent beim Thema Internet und hat dem Gesetz halt zugestimmt, weil das alle machen … Aber jetzt weiß ich, was diese Frau und höchstwahrscheinlich diese ganze politische Klasse wirklich will. Das total überwachte Internet. Schon jetzt gelten im Internet weniger Grundrechte als offline. E-Mails fallen nicht unter das „Briefgeheimnis“, eine IP-Adresse in einem Log allein reicht schon heute zu einer unangemeldeten Hausdurchsuchung. Aber diese Regierung will, dass sich jeder immer eindeutig zu erkennen geben muss, wenn er etwas im Internet tut. Eine eindeutige IP-Adresse, die dann auch noch aufgezeichnet wird (VDS), würde offline ungefähr bedeuten, dass man in jedem Geschäft, in jedem öffentlichen Gebäude seine Telefonnummer angeben müsste oder sich anderweitig eindeutig identifizieren müsste. Ich bin eigentlich SPD-Wähler, aber jetzt überlege ich mir, ob es nicht doch besser wäre, die Piraten zu wählen.

Immer gruseliger

■ Von Sunny

Fast jeder Satz, der da kommt, ist so elementar falsch, dass das Gehirn würgereflexartige Qualen leidet. Dank an die beiden Interviewer, uns das kurz vor den Wahlen noch mal vorzuführen. Der ein oder andere wäre womöglich sonst schwach geworden und hätte vor Mitleid das Kreuz doch wieder bei der SPD gemacht.