Kann jemand Goethe?

Gestern löste sich das Kulturhauptstadtbüro auf – mit Hilfe klassischer Gedichte. Die taz deckt auf: Fast hätte der Hering uns gerettet

Bremen taz ■ Leere Flure, ein abgestellter Kopierer, davor Kartons. Schlummern hier die brillianten Ideen, die das Hauptstadt-Aus zu Altpapier gemacht hat? Selbst die Reste des 2010-Büros atmen die Aura der Verheißung – am letzten Geltungstag des Mietvertrags Am Tiefer 2.

Was also wären die Themen bis 2010 gewesen, womit hätten wir europaweit von uns reden gemacht? Flugs näher gepirscht und ohne Rascheln nachgeforscht. Obenauf liegt das „Journal of Fisheries Research“. Überraschend – aber genial. Etwa: „Bremen, die Hauptstadt des Herings“? Die Spur scheint heiß. „Monitoring fish stocks“ heißt das nächste Konzeptpapier, dann fällt „Der Seehund an der deutschen Nordseeküste“ vom Nachbarstapel. Man muss seine Trümpfe nur ausspielen.

Intendant Heller war bekannt als Sucher neuer Querverbindungen. Als jemand, der Tradition und Niegedachtes zu einem neuen Image zusammenzuschweißen wusste. Bisweilen genügte ihm ein Blick aus dem Fenster, um Schauen zu visionieren – vom gegenüber ankernden Schiffbrüchigenschiff bis zur Ausstellungsidee „Die Rettung“ war es nur zwei Synapsen weiter.

Die aber muss man erstmal haben. Und ein gutes Team. Elf Menschen arbeiteten zuletzt an Bremens Platz im Herzen Europas – und die müssen noch irgendwo sein. Vom Ende des Flures klingt Gläserklappern. Eine der Parties, die Bremen „sich nicht mehr leisten kann“, wie Carmen Emigholz (SPD-Kultursprecherin) formulierte? Die taz schleicht näher, der Lärm wird lauter – beherzt reißen wir die Tür auf. Da haben wir‘s: Ein Umtrunk zur Arbeitszeit, auch befreundete Ämter sind vertreten.

Ist denn schon alles besenrein? Die Noch-HauptstädterInnen tummeln sich in geistigen Sphären. Gerade hat Uli Fuchs, als Dienstältester, das fehlerfreie Aufsagen von Goethe-Gedichten angeordnet. Wer‘s schafft, nimmt ein übriges Stadtmusikanten-Stofftier mit nach Haus.

Lutz Liffers muss nicht nach Hause. Sein privat finanziertes „Weltspiel“ geht weiter, bis Ende des Jahres sind noch 40.000 Euro zu vergeben. Weiter in den Nachbarraum: Dunkle Ablagerungen unter der Decke. Hier muss Heller gedacht haben. Und das Loch in der Wand? „Auf der anderen Seite hatten wir Magnetplatten befestigt“, erklärt eine Ex-Praktikantin. Was nichts mit Erdstrahlen oder Esoterik zu tun habe. Die gleiche Vorrichtung entdecken wir ein Stock tiefer, wo Uli Fuchs und Jens Joost-Krüger eine neue BMG-Schreibtischinsel gefunden haben. Am 12. Juli entscheidet der Senat, ob es eine „Stadtwerkstatt“ gibt.

Und die Fische? „Das ist alles vom Hempel“, behauptet Fuchs. Von unter seinem Sofa? Das Türschild beweist die Existenz von „Prof. Dr. h.c. Gottfried Hempel, Berater des Präsidenten des Senats“. Einer von Scherfs Ein- Mann-Think-tanks. Jetzt muss er noch einsamer denken. HB