: Wand als Werkzeug
Das ernste Spiel der Kunst als Mittel, der neoliberalen Außenwelt zu begegnen: Der Berliner Andrzej Steinbach, unter anderem Fotograf, stellt in Hamburg aus
Von Marinus Reuter
Die Ausstellungswände als Teil des ästhetischen Programms: Doppelreihig ziehen sich rechteckige Spanplatten – es soll sich um wiederverwendete Bauteile älterer Ausstellungsaufbauten handeln – bis unter das Hallendach, von dem Leuchtstoffröhren herabstrahlen, gleichmäßig wie in eine Lagerhalle. Teils sind die Platten roh belassen, meist in weißer Wandfarbe gehalten, die Spuren früherer Arbeiten trägt. Nur an wenigen Stellen gibt es mal ein schwarzes oder blaues Rechteck.
„Modelle und Verfahren“ hat der Berliner Künstler Andrzej Steinbach seine Ausstellung überschrieben, zu sehen noch bis Juni im Hamburger Kunstverein. Die architektonisch wirkende Geste, die Wände so einzusetzen, ist rudimentär ausgeführt, wie die verwendete Farbpalette überschaubar ist. Sie verweist aber unverkennbar auf einen konstruktivistischen Gedanken: „Die vier Wände in dem mir gegebenen Raum“, schrieb der russische Künstler, Fotograf, Typograf und Architekt El Lissitzky 1926, habe er „nicht als Trag- oder Schutzwände, sondern als optische Hintergründe“ aufgefasst: Diese „Demonstrationsräume“ sollten den ästhetischen Raum der Kunstwerke in den Gesellschaftsbau erweitern. Was damals vor allem hieß: in Produktion und Staat.
Es ist der vordere, der erste Teil der Hamburger Ausstellung, den diese Umwandlung der Wände in gestalterische Elemente dominiert. Hier fällt zuallererst die volle Abbildung einer Frau mit sehr kurzem Haar auf, die, in signalgelber Arbeitskleidung, den Oberkörper leicht vorgebeugt, zwischen den angewinkelten Beinen einen Schutzhelm hält. Gleich hinter dem Treppenaufstieg des Kunstvereins hängt dieses Foto, das aus seinem Vorbild kein Geheimnis zu machen scheint: ein ikonisches Porträt des futuristischen Dichters Wladimir Majakowski, 1924 fotografiert von Alexander Rodtschenko. 2019, ein Jahr nachdem die französische Gelbwestenbewegung weit über die Landesgrenzen hinaus die Fernsehbilder dominiert hatte, setzte also Steinbach eine junge Majakowska als Bauarbeiterin in Szene, mit E-Zigarette in der Hand. Ist es die Konstrukteurin einer neuen Gesellschaft? Geht es um die so markante, lauernde Pose? Ist ihre Bekleidung einfach als Mode zu begreifen, als rein optisch interessantes Material?
Die vom Eingang aus einsehbaren Arbeiten, entstanden in den Jahren 2013 bis 2016, versetzen die Betrachtenden in ebendiesen Modus: Reich an politischen Anspielungen wie auch subkulturellen Codes, spielen diese Bilder ein ästhetisches Spiel, das die Fixierung ihrer Bedeutung erschwert, wenn nicht verhindert. So erfassen die Schwarz-weiß-Fotos aus der Serie „Figur I“ mit deskriptiver Schärfe Gesten, Haltungen und modische Identifikationsmerkmale einer Person. Im breiten Mittelgang hängen dann aber Porträts, die etwas ihrer fotografischen Objektivität Gegenläufiges behaupten: Da wird gar kein einzelnes Ich erkennbar, kein Platz innerhalb der sozialen Ordnung definiert.
Wie ein Schrägstrich ins Bild gesetzt, zeigt ein anderes Bild einen Schlagstock, aus dem Teil eines Einkaufswagens gewonnen; gefunden worden sein soll das umfunktionierte Ding 2012 am Rande der Proteste gegen die EZB-Eröffnung in Frankfurt/Main. Zu lesen ist auf ihm der Schriftzug des Einzelhändlers, in dessen Filiale der Wagen einst Waren transportierte: „Hit“. Was sich aber auch als englischsprachige Aufforderung zuzuschlagen lesen lässt. Die Mehrdeutigkeit löst auch der Wandtext nicht auf, ein Hinweis auf die Form als Waffe.
Steinbach, der in Hamburg neben Fotografien nun auch eine Sound- und eine Videoarbeit sowie mehrere gefundene Objekte ausstellt, hat an anderer Stelle einmal die Bedeutung von Coolness bearbeitet. Unter anderem sei die Eigenschaft cool eine Form der impliziten Kommunikation, hieß es da; sie setze das unausgedrückte Mitwissen Anderer voraus. Verstand Steinbach Coolness da als eine Art spielerischer Verschwörung, bilden dann seine ästhetischen Formspiele vielleicht den Übergang zu einer ernsthaften? Dem ernsten Spiel der Kunst gesteht er nun jedenfalls eine instruktive Kraft zu, mithilfe derer sich die Betrachtenden der neoliberalen Außenwelt entgegenstellen könnten.
Gleich 29 Makrofotografien von Werkzeugen und Materialien umfasst die eigens für die Ausstellung entwickelte Serie „Auto Erotik“. Sie erschließt sich den Besucher:innen erst am Ende des kargen Mittelgangs, an dem als reines Objekt eine Türzarge aus einer Ausländerbehörde steht. Links und rechts öffnen sich hier die Seitenflügel, auf deren reinweißen Wänden etwa die Fotografie eines in einen Hammer verschlungenen Winkelschneiders hängt, oder die rundgebogene Spiegelung eines davor liegenden, eigentlich geraden Nagels. Es sind Reformulierungen einer Sichtweise, die nicht intakt oder ideal sein kann. Erst die lässige Anerkennung dieses Problems, die zur Zerstörung und Dekonstruktion des ordentlichen Sehens anregt, lässt diese fotografische Bilderwelt aber bewohnbar erscheinen.
Andrzej Steinbach, Modelle und Verfahren: bis 12. 6., Hamburg, Kunstverein.
www.kunstverein.de
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