Sozialdemokratie, wohin?

Was wird aus der guten alten SPD und ihren ach so herrlichen Protagonisten?

Zurzeit kursieren viele Gerüchte, was passiert nach Gerhard Schröders Abtritt als Bundeskanzler, der unmittelbar bevorzustehen scheint. Wird mit ihm gleich die gesamte SPD zurücktreten von ihrem Amt als Partei? Und sagen, ihre Zeit als Partei sei abgelaufen, sie habe einiges erreicht, aber nach über hundert Jahren ununterbrochener und unermüdlicher Tätigkeit als Partei sei es auch mal an der Zeit, alle fünfe gerade sein zu lassen und an den Ruhestand zu denken, ans Privatleben, an eine Kur vielleicht in dem nach ihren Arbeitsmarktreformen benannten wunderschönen Harz?

Der Abgang einer kompletten Partei wäre zweifellos ein Novum in der Geschichte. Zunächst würde wohl nur Fassungslosigkeit vorherrschen. Die SPD gehört mittlerweile so sehr zum politischen und auch sonstigen Langweiler-Alltag, dass ein Leben ohne sie unvorstellbar scheint. Fragen über Fragen: Was wird mit dem Eigentum der Partei geschehen? Wird man das Willy-Brandt-Haus in Berlin an Scientology untervermieten können? Wohin mit den Ortsvereinen? Den Unterbezirken? Den Mitgliedern?

Die anderen Parteien werden sie nicht ohne weiteres aufnehmen wollen. Auch sonst sieht es schlecht aus. Der deutsche Radsportverband hat zwar Rudolf Scharping adoptiert, aber das heißt ja nicht, dass er noch Zehntausende andere Mitglieder wird unterbringen können. Helmut Schmidt hat bei der Schnupftabakindustrie Asyl, doch auch deren Kapazität ist damit ausgelastet. Björn Engholm bereist als Badewannen-Vertreter das Baltikum, und in diesem Geschäft ist auch nicht mehr viel für andere zu holen. SPD-Mitglieder, lehrt die Erfahrung, müssen individuell beraten und sehr speziell vermittelt werden, wenn sie überhaupt die Chance auf eine neue Anstellung erhalten werden.

Gerhard Schröder zum Beispiel – wer soll ihn nehmen? Die Friseurinnung bestimmt nicht nach dem jahrelangen Hickhack um die Tönung seiner Haare. VW wird ihn ebenfalls nicht einstellen, denn das Unternehmen schreibt ohne ihn schon rote Zahlen. Womöglich hofft er, als Anwalt weiter arbeiten zu können, aber wer wird einem Mann wie ihm, der eine ganze Partei in den Offenbarungseid getrieben hat, noch die Vertretung in einem Parkverbots-Bußgeldverfahren anvertrauen wollen?

Was viele nicht mehr wissen, es gab ein Leben vor der SPD. Es war ihre beste Zeit. Bevor die SPD auf den Plan trat, gab es die Arbeitervereine, die sich in den Hinterzimmern der Vorortkneipen trafen, um neue Lieder einzustudieren. Es gab die Wandervogelbewegung, die Bildungsvereine, die Wohnungsgenossenschaften und die Naturfreunde. Wären das nicht Perspektiven auch für die kommende Zeit?

Zurück zu den Ursprüngen? Man muss sich vielleicht nicht unbedingt mit einem Schmetterlingsnetz bewaffnen und durchs Ruhrgebiet ziehen. Aber wenn Franz Müntefering das machen will, dann könnte er sich verlorene Sympathiewerte wieder zurückerobern. Und „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ auf der Blockflöte pfeifen.

Ein Problem aber bleibt. Wenn die SPD zurücktritt, wer stellt dann die Opposition? Die Bild-Zeitung? Günter Grass? Der ADAC? Der Kampf um das Erbe der Partei, er hat begonnen.

RAYK WIELAND