Die FDP: Schulden ohne Bremse

Kaum war die FDP an der Macht, verabschiedete sie sich von ehernen Grundsätzen – allen voran Parteichef Christian Lindner

Macht trickreich Schulden: Finanz­minister Lindner Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Stefan Reinecke

Ende Oktober verkündete FDP-Chef Christian Lindner, was die Ampel auf keinen Fall tun werde. Die alte Regierung hatte rund 60 Milliarden Euro Schulden für Corona bereitgestellt, die bislang nicht verwendet worden waren. Die Mil­liar­den jetzt für andere Zwecke zu nutzen, „wäre nicht seriös“, sagte Lindner der ZDF-Talkshow „Maybritt Illner“. Die Coronaschulden für das Großprojekt der Ampel – den klimaneutralen Umbau der Industrie – zu nutzen, würden „als Geburtsfehler“ einer neuen Regierung gebrandmarkt werden. Das wollte er verhindern.

Als Finanzminister tat Lindner ein paar Wochen später dann genau das, was er als Parteichef ausgeschlossen hatte. Die 60 Milliarden Euro wurden kurzerhand und in einer verfassungsrechtlich grenzwertigen Operation umgebucht. Dass auch die Arbeitergeberverbände dies für schlicht nötig hielten, um die Klima­transformation anzuschieben, beflügelte Lindners Sinneswandel.

Die FDP hält zwar noch immer ihr Plakat aus Wahlkampfzeiten hoch: Keine Steuererhöhungen, Einhaltung der Schuldenbremse. Aber faktisch setzt Lindner alle Hebel in Bewegung, um Geld lockerzumachen. Hier 60 Milliarden Euro, dann noch 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr. So bleibt der Fetisch Schuldenbremse scheinbar unangetastet. Doch in Wahrheit hat die FDP sich von der Austeritätspolitik verabschiedet. „Sparen, sparen, sparen“ war jahrelang das Mantra der Liberalen. Jetzt redet Lindner lieber davon, dass das Finanzministerium ein „Ermöglichungsministerium“ sein soll.

Im Koalitionsvertrag steht, dass die Bahn AG und die bundeseigene Immobiliengesellschaft Kredite aufnehmen dürfen. Faktisch hat die Ampel damit die Möglichkeit eröffnet, sich jenseits des Haushalts Geld für Investitionen zu leihen. Die FDP macht das mit – und wirft ihre ordnungspolitischen Grundsätze über Bord. Ein Grund für diese Dehnbarkeit ist die Erinnerung an 2009 und 2017. In der schwarz-gelben Regierung beharrte die FDP lange und ergebnislos auf Steuersenkungen – 2013 flog sie aus dem Bundestag. 2017 ließ Lindner starrsinnig Jamaika scheitern.

Die Lehre aus 2013 und 2017 scheint nun zu sein: Lieber flexibel regieren als gesinnungstreu unterzugehen. Der Wandel hat allerdings etwas Verdruckstes, Uneingestandenes. Die FDP bezahlt ihren Pragmatismus mit Bigotterie. 2023 werde man die Schuldenbremse wieder brav einhalten, verspricht Lindner. Im Hintergrund denken Liberale schon darüber nach, ob man die Schuldenbremse nicht künftig einfach kreativer gestalten muss.