berliner szenen
: Emily hat gar keinen Bock

Ein verregneter Sonntagnachmittag, ich fahre mit der Tram ins Schwimmbad. Sie sitzen auf dem 4er-Sitz hinter mir und unterhalten sich so laut, dass ich ungewollt alles mithöre. „Ey Digga, kennst du eigentlich Emily?“ Emily hat überhaupt keinen Bock auf Schule, sie fehlt oft, manchmal zwei Wochen am Stück. „Aber krass, Digga, die hat trotzdem überall Einsen.“

Das finde ich auch ziemlich krass, denn meine jugendliche Schulabstinenz (nie mehr als zwei Tage am Stück!) führte immer gleich dazu, dass mir wieder irgendwelcher Stoff für die nächste Klassenarbeit fehlte. Weshalb ich alles von meiner Tischnachbarin abschreiben musste, um noch eine gute 4 zu schaffen.

„Und Shanon, Digga, kennst du die?“ – „Ist das die mit den braunen Haaren und dem großen Muttermal?“ Es folgt eine kleine Diskussion, ob es nett ist, jemanden auf sein Muttermal zu reduzieren. Jetzt muss ich mich doch mal umdrehen. Vier Jungs, zwei Mädchen, schwarz gekleidet, mit schwarzen FFP2-Masken. Zwei von ihnen drehen sich gerade Zigaretten. Alle sind um die fünfzehn Jahre, alle klingen ziemlich sympathisch. „Na ja, ich könnte auch sagen ‚die mit den braunen Haaren‘, aber das ist nicht gerade so das Alleinstellungsmerkmal. Und ein Muttermal ist ja nichts Schlimmes.“ So viel Empathie hätte meinen Mitschülern früher auch nicht geschadet.

„Früher, als ich noch nicht geraucht habe, hab ich mal eine ganze Stange Zigaretten gefunden, Digga. Die hab ich dann einfach in den Fluss geworfen.“ „Krass! In welchen Fluss denn? In die Panke?“ Kurzer Faktencheck, alle sind sich einig: Die Panke ist kein Fluss. O.k., man kann sich mal vertun in der Wortwahl. Viel schlimmer: „8 Packungen Zigaretten, Digga. Einfach weg.“ Am U-Bahnhof Vinetastraße steigen sie leider aus. Schade.

Gaby Coldewey