Episoden einer wilden Frau

Michael Gordons Film-Oper „Acquanetta“ wird in Aachen uraufgeführt: Der scheidende Intendant Paul Esterhazy inszeniert mit Video-Elementen die Geschichte einer künstlich geschaffenen Frau

AUS AACHENFRIEDER REININGHAUS

Das Theater Aachen hat sich als Aufführungsort bemerkenswerter neuer Arbeiten des Musiktheaters gemausert. Nach „BlauWaldDorf“ und „Wozzeck kehrt zurück“ von Helmut Oehring, nach den „Persern“ von Klaus Lang und den „Menschen“ von Detlev Müller-Siemens knüpft der scheidende Generalintendant Paul Esterhazy nun an eine Produktion an, die er 1997 als Dramaturg von „Bonn Chance“ kreieren half und die bundesweit für Aufsehen sorgte: „Weather“ von Michael Gordon. Der in New York lebende Komponist, Kopf der Komponistengruppe „Bang on a Can“, entwickelte im Auftrag des Aachener Theaters das Projekt „Acquanetta“.

Das Resultat lässt sich als „Film-Oper“ charakterisieren. Die beschäftigt sich mit der Biographie einer Hollywood-Sternschnuppe, kreist um eine Episode des Films „Captive Wilde Woman“ von 1943. Die optische Realisierung arbeitet mit Mitteln von Film und Video und die Komposition ist von vorn bis hinten ein hoch ausgesteuerter und kräftig getönter Soundtrack. Der Aachener Intendant Paul Esterhazy hat sich zur Gewohnheit gemacht, neue Werke in seinem Haus mit einer kurzen Einführung zu versehen. Das tat er auch diesmal – allerdings nicht als Vortragsredner, sondern als Hauptdarsteller eines Vorfilms: Wie Alfred Hitchcock sitzt er da in der Dämmerung im Regiestuhl, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Esterhazy erläutert die Hintergründe der Produktion, Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch gibt einen Vorgeschmack auf die Probenarbeit. Nach dem kurzen Zwischenspiel der Popcorn-Verkäuferinnen kommt das Hauptprogramm auf dem Gaze-Vorhang, der als Kinoleinwand dient und im Raum, der sich hinter der Projektionsfläche auftut. Elf Szenen (oder genauer gesagt: musikalische Sequenzen mit Live-Lichtspiel), entwickeln einen Bild- und Tonkommentar. Mit Episoden kreist er um eine einzige, allerdings zentrale Szene des Films „Captive Wild Woman“ – in der sich eine schöne junge Frau, die von einem verbrecherischen Arzt durch Mutation aus einem Gorilla-Weibchen gewonnen wurde, wieder in das Tier zurück verwandelt. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2004 blieb die Herkunft der Schauspielerin im Dunklen. Anfang der 1940er Jahre reüssierte sie in Hollywood und prägte sich besonders durch Mitwirkung bei Horrorfilmen ein, verschwand aus unerklärlichen Gründen jedoch rasch wieder von der Bildfläche. Sie hieß wohl Mildred Davenport und war afro-amerikanischer Abstammung, stilisierte sich freilich als Latino-Sexbombe – als „venezolanischer Vulkan“. Das ist die Paraderolle der „Acquanetta“.

Pia Janssen baute in Aachen ein Wartezimmer der Universal-Filmproduktion – schwarz-weiß, mit dem typischen Mobiliar und den Lampen der frühen 40er Jahre, seitwärts eine Nasszelle und die gebieterische Leuchtschrift „Please wait“ über der Tür, die aber für keinen der fünf arbeitssuchenden Schauspieler aufgeht. Es ist Kriegs- und Depressionszeit. Virtuos bedient Regisseur Esterhazy diese dritte Erzählebene mit Judith Berning in der Titelrolle und den anderen, die sich aus Edward Dmytryks gut 60 Jahre altem Film verselbständigten. So ergibt sich ein heiteres Spiel: Kunst über Kunst, wenn man denn diesen alten Streifen, aus dem immer wieder zitiert wird, als Kunst ansehen möchte. Im Nachhinein jedenfalls wird er geadelt – auch durch den Hinweis auf Menschenversuche lange vor der Zeit der Stammzellenforschung (in jenen Jahren eben, in denen auch in Konzentrationslagern entsprechende Versuche unternommen wurden). So ergibt sich – bei allem Willen von Michael Gordon zum Unterhaltsamen – auch eine nachdenkliche Komponente der Produktion. Entstanden ist die Film-Oper wohl aber wegen der Musik, der geschäftigen, mitunter mikrointervallisch geschärften Komposition.

Sonntag, 19:30 Uhr, Theater AachenInfos: 0241-4784244