berliner szenen
: Man hätte doch wissen können

Die Neue Nationalgalerie lädt am Wochenende ins Eingangsgeschoss. Tag und Nacht. „Our Space to Help“. Viele Kulturinstitutionen rufen zu Spenden auf für Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind. In der Mitte ist eine Bühne aufgebaut, ein Schlagzeug steht bereit. Im Moment ist noch nicht viel los. Ich setze mich erst mal, um zu lesen, wer auftreten wird.

Ein Mann steuert entschlossen einen freien Hocker neben mir an. Respektvoll lässt er den Platz zwischen uns frei und fragt dann ohne Vorrede, was ich denn zu Putin sage. Ich seufze noch, da legt er schon los. Man hätte doch wissen können, was das für einer ist. Das war doch schon auf der Krim zu beobachten. Wie der sogar die eigenen Leute klein macht. Ein altes Mütterchen wurde festgenommen, als sie vor einem Weltkrieg gewarnt hat. Die wusste doch, wovon sie redet. Putin nicht. Aber unsere seien auch nicht besser. Jetzt hauen sie Milliarden für Waffen raus. Und unsere Kinder? Und deren Bildung? Schröder sollten wir keinen Pfennig Pension zahlen, der könne doch zu seinem Putin gehen, wenn es sich in Russland so gut leben lässt.

Bis eben habe ich die Musik nur als Hintergrundgeräusch wahrgenommen, jetzt hole ich sie mir nach vorne, während der Mann weiter flucht. Mir gefällt die Mischung aus Balladen und härteren Beats, ein guter Flow, noch dazu perfekt ausgesteuert – nicht leicht in dieser Umgebung aus Stein und Glas.

Ich bin abgetaucht, als ich die Frage höre: „Und haben Sie sonst heute schon was Schönes erlebt?“ Ihm gefalle es hier sehr, sagt der Mann, wie ein großes Wohnzimmer. Er fahre seit bald 60 Jahren vorbei und sei zum ersten Mal drinnen. „Außerdem bin ich in den letzten Monaten fast nur zu Hause gewesen, und jetzt dieses schöne Gespräch mit Ihnen.“ Claudia Ingenhoven