piwik no script img

„Das waren Kuhwiesen“

Rugby und Fußball kamen im Kaiserreich mit den Engländern nach Hannover und blieben. Obwohl die Sportarten zunächst einen schlechten Ruf hatten, erklärt Hendrik Woy

Interview Lenard Brar Manthey Rojas

taz: War Fußball in Hannover anfangs eine Schülerbewegung, Herr Woy?

Hendrik Woy: Teilweise. Am Anfang standen aber eher junge Männer und Jugendliche, unabhängig von der Schule, im Vordergrund.

Wie gelangten die Sportarten Fußball und Rugby nach Hannover?

In Hannover bestand von 1714 bis 1837 eine Personalunion mit Großbritannien. Der englische König saß hier. Außerdem war die Industrialisierung im vollen Gange. Auch nach dem Ende der Personalunion verblieben englische Kaufleute, Handwerker oder auch Gesandte des Hofes in Hannover. In ihrer Freizeit spielten sie dann Spiele, die sie aus ihrer Heimat kannten, wie Fußball und Rugby.

Und das bekamen dann auch die Deutschen mit?

Genau. Deutsche Jungen haben das beobachtet und als die Engländer 1876 mal zu wenig Leute hatten, haben dann auch deutsche Schüler mitgespielt. So sind letztendlich Rugby und Fußball nach Hannover gekommen.

Und dann verbreiteten sie sich an den Schulen?

Ja. Es wurden Schülerturn- und Spielvereine gegründet. Da wurden dann auch diese Sportarten gespielt.

Was erhofften sich die Schulen davon?

Auf der einen Seite wollte man den Rauch- und Kneipenabenden entgegenwirken. Es gab unter Schülern den Trend, sich zum gemeinsamen Alkohol- und Nikotinkonsum zu verabreden. Die Schulen haben das verboten, aber das hat nicht funktioniert. Daher wollte man auch an den Schulen Geselligkeit unter angenehmeren Umständen einführen. Da hatte man die Schüler besser unter Beobachtung. Hinzu kommt, dass einzelne Sportlehrer einfach Interesse an Fußball hatten.

Wo genau fand das Spielen denn statt?

Man hat nicht in der Schule gespielt. Meistens sind die Schüler auf eine Wiese gegangen. Das waren aber keine professionellen Spielfelder, sondern eher Kuhwiesen. Wenn da überhaupt Rasen war, war das eher Asche und es gab viele Maulwurfshügel. Die Turnhallen waren damals aber gar nicht groß genug, um dort Fußball zu spielen.

Gründeten Schü­le­r*in­nen die ersten Rugby- und Fußballvereine?

Ja, zwar nicht nur Schüler, aber es waren viele junge Menschen. Häufig waren diese unter achtzehn und gerade aus der Schule raus. Teilweise waren auch Zehnjährige an den Gründungen der Vereine beteiligt. Allerdings nur Jungen, an den Mädchenschulen gab es kein Fußball oder Rugby.

Gibt es einen Spieler, der für Sie diese Zeit repräsentiert?

Eindeutig Ferdinand Wilhelm Fricke. Er hat dazu beigetragen, Rugby und Fußball in der Stadt zu etablieren. Fricke spielte bereits als Schüler Rugby und gründete im Alter von 14 Jahren den Rugbyverein „Deutscher Fußball-Verein Hannover von 1878“ (DFV). Auch wenn der Name heute etwas irritieren mag. Später hat er bei vielen weiteren Vereinsgründungen mitgewirkt. Auch als Lehrer hat er sich sehr dafür eingesetzt, dass Rugby und Fußball in den Schulen gespielt wird.

Hendrik Woy, 25,studiert in Hannover die Fächer Sport und Geschichte auf Lehramt am Gymnasium.

War Fußball früher etwas Elitäres?

Am Anfang war es auf jeden Fall etwas Elitäres. Bei Hannover 78 spielten zum größten Teil Schüler eines Realgymnasiums. Diese Schüler kamen nicht von einer Volksschule, sie entstammten hauptsächlich dem Bürgertum. Man muss auch bedenken, dass man sich die Anschaffungen wie Trikots, Fußbälle, Tore, Tornetze, leisten können musste, um zu spielen. Es gibt auch relativ viele Bilder der Vereine aus dieser Anfangszeit. Da sind alle mit Anzug unterwegs. Ich würde ganz stark behaupten, dass sich Arbeiter zu der Zeit keinen Anzug leisten konnten. Erst später wurde Fußball dann auch für die breitere Masse zugänglich.

Trotzdem hatten Rugby und Fußball teilweise einen schlechteren Ruf?

Auf jeden Fall. Es gab eine Konkurrenz zwischen dem Turnen, das als deutscher Sport angesehen wurde, und den englischen Sportarten. Diese entsprachen gar nicht dem damaligen Geist, die deutsche Jugend zu erziehen. Der heutige Sportunterricht hieß damals schließlich noch Turnunterricht.

War Rugby in der Kaiserzeit populärer als Fußball?

In Hannover war Rugby vor der Jahrhundertwende populärer. Später setzte sich dann Fußball durch. Dennoch ist Hannover immer noch eine Rugby-Hochburg. Wir haben viele Vereine, die in der Bundesliga spielen und reihenweise deutsche Meisterschaften gewonnen haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen