Gegenrede: Werner Schulz (Grüne) spricht zur Vertrauensfrage
: Flucht vor der Verantwortung

„Was hier abläuft, ist ein inszeniertes, ein absurdes Geschehen. Hier läuft eine fingierte oder, wie die Juristen sagen, eine unechte Vertrauensfrage. […] Schon der erste Satz Ihres Antrages, Herr Bundeskanzler, ist unwahr. Sie wollen doch gar nicht, dass man Ihnen das Vertrauen ausspricht. Sie wollen diese Abstimmung verlieren. Sie suchen einen Grund für Neuwahlen und damit das organisierte Misstrauen. Sie selbst haben verkündet, sich der Stimme zu enthalten. Aber was ist ein Kanzler, der das Selbstvertrauen verloren hat?

[…] Was jetzt passiert, ist aber die Sinnentleerung des Artikel 68. Dass ausgerechnet die alten 68er, so wie sie hier versammelt sind, über einen Missbrauch des Artikels 68 ihren Abgang vorbereiten, gehört zu den grotesken Momenten dieses Vorgangs. […] Dabei haben Sie gerade bei der Vertrauensfrage im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz in Afghanistan gezeigt, wie dieser Artikel moralisch und politisch zu gebrauchen ist. Sie haben eine eigene Mehrheit demonstriert und dafür sogar eine breite parlamentarische Mehrheit verschmäht. Sie wollten Helmut Kohl nicht nachahmen; heute kopieren Sie ihn, wobei der Vergleich mit der damaligen Lage doch etwas schräg ist.

Mir ist die Demokratie nicht geschenkt worden. Mit einigen anderen musste ich unter gefährlichen Umständen Demokratie und Freiheit erst erkämpfen. Schon deswegen sind mir die Grundregeln der Demokratie, wie sie in unserem Grundgesetz stehen, ein hoher Wert – gerade in einer Zeit, in der wir über den Werteverfall und die Vertrauenskrise der Politik reden. Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie nach dieser verschwiemelten Operation morgen in den Wahlkampf ziehen und über Wahrheiten reden können? Das ist nicht nur ein Tiefpunkt der demokratischen Kultur, sondern Sie beschädigen auch das Ansehen des Parlamentes und meine und unsere Rechte als Abgeordnete. […] Die Rückkehr der Geschichte sollten wir nicht als ein Stück Volkskammer veranstalten. [...] Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht Neuwahlen, sie wollen die Abwahl von Rot-Grün. Offenbar wollen Sie das auch – die Flucht aus der Verantwortung. Nur, das ist ein würdeloser Abgang, den wir hier erleben.

Auszug aus der gestrigen Bundestagsrede von Werner Schulz