Taylors Schatten hängt über Liberia

Der 2003 gestürzte Expräsident von Liberia lebt weiterhin im Exil in Nigeria – gesucht vom UN-Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone. Seine Landsleute meinen dazu: Wenn er überhaupt vor Gericht soll, dann zu Hause. Und zwar nicht nur er

AUS MONROVIA HAKEEM JIMO

„Charles Taylor gehört auf die Müllhalde der Geschichte“, sagt Ellen Johnson-Sirleaf. Der Liberianerin werden gute Chancen bei der Präsidentenwahl im kommenden Oktober gegeben. Bei der letzten Wahl 1997 kam die streitbare Mittsechzigerin auf den zweiten Platz – gleich hinter Taylor. Der Frage, ob sie als Präsidentin einen Kriegsverbrecherprozess gegen ihren Rivalen unterstützen würde, weicht sie aus: Das Volk müsse entscheiden.

Zwei Jahre nach Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs in Liberia vermeiden viele Liberianer eine Debatte, wie mit dem 2003 gestürzten Taylor umgegangen werden soll. Seit August 2003 lebt der einstige Präsident Liberias in Nigeria im Exil – vor Auslieferung sicher, aber vom UN-Sondertribunal für Sierra Leone wegen Kriegsverbrechen gesucht. Damals standen Taylor-feindliche Rebellen schon an der letzten Brücke zum Zentrum der Hauptstadt Monrovia. In letzter Minute handelte Taylor eine Absprache aus, dass er freiwillig aufgeben würde, wenn er unbehelligt im Exil leben könnte.

Damals lautete die Begründung für den Taylor-Deal, der ohne Zustimmung der USA nie möglich gewesen wäre, dass damit der Bürgerkrieg in Liberia schneller zu Ende gehen könnte. Auch heute sehen die Liberianer es als Preis für den Frieden in ihrem Land an, dass Taylor ungeschoren bleibt. „Wir müssen dieses Kapitel unserer Geschichte hinter uns lassen“, erklärt ein Büroangestellter in der Hauptstadt Monrovia. „Wenn wir jetzt Taylor vor Gericht stellen, dann müssen sich auch eine ganze Reihe anderer Leute verantworten. Das könnte nach hinten losgehen.“

Tatsächlich ist in dem drei Millionen Einwohner zählenden Liberia die Lage verzwickt. Als Taylor 1989 seinen Rebellenbuschkrieg begann, bekam er Unterstützung von vielen Demokraten – eben auch von Ellen Johnson-Sirleaf. In einem Interview sagte sie damals, man müsse den Präsidentenpalast dem Erdboden gleichmachen. Heute bekleidet sie führende Rollen in internationalen Organisationen.

Inzwischen finden sich jedoch immer mehr Fürsprecher eines Liberia-Tribunals in der Bevölkerung – zumal Liberias Kriege wegen krimineller Geschäfte wie Diamantenschmuggel geführt wurden und nicht wegen Ideologien, die man eher amnestieren könnte. „Taylor ist der Hauptverantwortliche für diese Kriegsverbrechen und Kriege – nicht nur in Liberia, sondern auch in Sierra Leone, Guinea und der Elfenbeinküste“, sagt ein Geschäftsmann in Monrovia. Auf einer internationalen Liberia-Planungskonferenz machten vor kurzem liberianische Zivilgesellschaftler deutlich, dass alles vermieden werden müsse, um Chaos und Straflosigkeit zu wiederholen. Es ist ein Dilemma: Straflosigkeit könnte zu Chaos führen – aber Strafverfolgung ebenfalls.

Taylor unterstützte als Präsident Rebellen in Sierra Leone und Guinea und wurde unter Druck von Rebellen gestürzt, die wiederum aus diesen Ländern Unterstützung erhielten. Die Spannungen zwischen den Ländern dauern an, und auf der Müllhalde der Geschichte ist Taylor bis heute nicht gelandet. Internationale Organisationen werfen ihm vor, weiter politischen Einfluss zu nehmen. Ein Attentat auf den Präsidenten von Guinea Anfang des Jahres soll auf seine Kappe gehen. Aus Liberia kommen Berichte, dass Taylor erneut frustrierte Exkämpfer anheuert. Zudem soll er mit seinem unter anderem aus Diamantenschmuggel gewonnenen Vermögen Politiker im anstehenden Wahlkampf unterstützen. So könnte sich Taylor im Parlament Einfluss sichern, um für mögliche Abstimmungen über seine Person gewappnet zu sein. Denn das Pendel scheint dahin zu schwingen, dass Taylor vor einem liberianischen Gericht unter einer gewählten liberianischen Regierung der Prozess gemacht werden könnte – und eben nicht vor dem UN-Sondertribunal in Sierra Leone.

Der Preis für Taylors Kopf steigt. Letztes Jahr schrieben die USA zwei Millionen Dollar für seine Ergreifung aus. Das war absurd: Jeder weiß, dass Taylor in der südnigerianischen Stadt Calabar lebt. War die ausgeschriebene Belohnung eine Einladung an Kopfgeldjäger? Politiker in Nigeria fanden das nicht sehr sensibel. Jetzt übt die Supermacht USA auf andere Weise Druck aus. Nach dem Besuch des nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo Ende vergangenen Monats im Weißen Haus hieß es, US-Präsident George Bush wäre bereit, Nigeria die gesamten Schulden gegenüber den USA zu erlassen – über 20 Milliarden US-Dollar – im Tausch für Taylor.

Am Donnerstag vereinbarte Nigeria mit dem Pariser Club seiner ausländischen Gläubiger einen Schuldenerlass von 18 Milliarden Dollar.