Kopf-an-Kopf-Rennen

In Albanien dürfte bei den Parlamentswahlen erstmals keine der großen Parteien eine Mehrheit bekommen

BERLIN taz ■ Albaniens Exstaatschef Sali Berisha will es noch einmal wissen. „Die Schlacht gegen das System der Korruption wird die erste Schlacht sein, die wir gewinnen werden“, kündigte er unlängst in der Frankfurter Rundschau an. Doch dazu müsste der 60-jährige frühere Kardiologe, der 1997 im Zuge des Kollapses betrügerischer Investmentfonds (Pyramiden) das Präsidentenamt räumen musste, erst die Parlamentswahlen am Sonntag gewinnen.

Und das wird knapp. Jüngste Umfragen sehen Berishas Demokratische Partei (PDSH) bei 34 bis 35 Prozent. Mit ähnlichen Werten wird die regierende Sozialistische Partei (PSSH) von Premierminister Fatos Nano gehandelt. Zu vergeben sind 140 Sitze – 100 davon gehen an die Sieger in Einerwahlkreisen, 40 werden über Parteilisten verteilt. Insgesamt bewerben sich über 20 Parteien.

Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, könnte in Albanien erstmals seit der Wende 1990/91 keine der beiden großen Parteien allein die Regierung bilden. Dann schlüge die Stunde von Ilir Meta, Exregierungschef und einstiger Weggefährte von Fatos Nano. Im vergangenen Oktober gründete Meta die „Sozialistische Bewegung für Integration“ (LSI). Derzeit liegt die Partei, die starken Zulauf bei jungen Albanern und Intellektuellen hat, bei Zustimmungswerten von rund zehn Prozent. Unter dem Motto „europäische Normalisierung“ wirbt die LSI mit Parolen wie „Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität“ und will die Integration Albaniens in die Europäische Union vorantreiben. Dieser Prozess, behauptet Meta, werde von den beiden großen Parteien blockiert.

Erstaunlicherweise spielt die wirtschaftliche Entwicklung im Wahlkampf kaum eine Rolle. Dabei steht der Drei-Millionen-Einwohner-Staat gar nicht so schlecht da. Zwar lebt ein Viertel der Albaner immer noch unter der Armutsgrenze und weitere fünf Prozent gelten als extrem arm. Dennoch vermeldete die Weltbank jüngst durchaus Positives: So wachse die Wirtschaft jährlich um sechs Prozent und steige das Bruttoinlandsprodukt 2005 von 2100 auf 2.710 Dollar pro Kopf. Ebenfalls für dieses Jahr gehen Experten von einer Erhöhung der Exporte um fast 13 Prozent gegenüber 2004 aus.

Doch die positiven Wirtschaftsdaten interessieren Brüssel derzeit weniger. Testfall seien die Wahlen. Nur wenn diese internationalen Standards entsprächen, könne man über den Abschluss des EU-Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens reden, ließ die Kommission unlängst wissen.

Doch daran sind Zweifel angebracht. Zwar unterzeichneten die Parteien einen Wahlkodex, der Transparenz der Wahlkampffinanzierung sowie die Akzeptanz der Wahlergebnisse fordert. Doch berichtete die OSZE, die am Wahltag mit 3.300 einheimischen und bis zu 500 ausländischen Beobachtern präsent sein wird, bereits von zahlreichen Gesetzesverstößen. Stimmen würden gekauft sowie Geld und Personal des Staats missbraucht. Auf Wählerlisten tauchten Namen zweimal auf. „Nur wenn Albanien diesen Test besteht, wird das Land international als Partner angesehen“, sagt Erion Veliaj von der albanischen Nichtregierungsorganisation Mjaft. „Sonst bleibt das Land in Europa ein Underdog.“ BARBARA OERTEL