Wandel im Lokaljournalismus: Wo Politik konkret wird
Lokaljournalismus steckt in der Krise, mit gravierenden Folgen für Politik und Gesellschaft. Lösungsansätze lassen derweil auf sich warten.
Diese bizarre Gemeindevertretersitzung gehört zu meinen persönlichen lokaljournalistischen Sternstunden. Nah dran zu sein am Geschehen, der Politik über die Schulter zu schauen – das zeichnet guten Journalismus aus, egal ob in Brüssel, Berlin oder in Nordfriesland. Im Lokalen wird Politik am deutlichsten spürbar und oft überhaupt erst konkret: Wenn die EU ihre Förderrichtlinien oder die Bundesregierung ein Gesetz ändert, werden in den Dörfern Gemeindehäuser, Radwege oder eben Windräder gebaut. Guter Lokaljournalismus zeigt solche Entwicklungen und lässt alle Seiten zu Wort kommen.
Ja, die meisten Gemeindevertretersitzungen sind langweilig, und viele Lokalzeitungstexte sind es auch. Und die Nähe zwischen Journalismus und Politik kann auch zum Verhängnis werden: Man kennt sich, man schont sich. Zudem sorgt finanzielle Abhängigkeit von lokalen Anzeigenkunden für eine unangebrachte Beißhemmung. Und die Berichte von Vereinsfeiern, Feuerwehrbällen und die Übergabe von handtuchgroßen Schecks sind grottenöde für alle, die nicht im Artikel erwähnt werden. Doch auch dieses nachrichtliche Grundrauschen gehört dazu, und gute Lokalredaktionen kriegen den Mix aus Terminberichterstattung und anderen Texten hin.
Oder besser: Sie haben es mal hingekriegt. Denn dass Zeitungen, erst recht gedruckte, die wichtigste Plattform für Informationsaustausch sind, ist lange vorbei. Von den Reichweiten sozialer Medien und vor allem deren Geschwindigkeiten träumen die Zeitungen nicht einmal. Die meisten versuchen bloß noch, im Internetzeitalter zu überleben.
Print ist immer noch die „Cashcow“
Weil die Zeitungen anfangs ihre Texte kostenlos im Netz veröffentlichten, wuchsen ganze Generationen von Leser*innen heran, denen das Bewusstsein dafür fehlt, dass Artikel und Bilder einen Wert haben. „Schicken Sie mir mal Ihre Fotos“, ist einer der Sätze, die Fotograf*innen bei Terminen ständig zu hören bekommen. Der zarte Hinweis, dass man hauptberuflich unterwegs ist und daher auch bezahlt werden möchte, gilt dann fast als unverschämt.
Auch für die Verlage ist der Versuch, auf Bezahlmodelle umzusteuern, nicht einfach. Die taz versucht es gar nicht erst. Sie hat sich entschlossen, alle Texte weiter kostenlos ins Internet zu stellen, auch um Menschen, die wenig Geld haben, einen Zugang zu Informationen zu bieten. Allerdings bittet die Redaktion um freiwillige Spenden. Dieses Bezahlmodell läuft überraschend gut, bereits über 32.000 Menschen machen mit. Aktuell steckt die taz in einem Transformationsprozess von Print zu Digital.
Für die Leser*innen der Regionalteile in Berlin und Norden zeigt sich dieser Prozess unter anderem an der Wochenendbeilage StadtLand. Bis zum Herbst 2021 produzierten beide Lokalredaktionen jeweils mehrere Seiten in der Wochenendausgabe. Jetzt haben sie sich zusammengetan. Und auch wenn beide Redaktionen Woche für Woche viel Energie ins StadtLand stecken, bleibt die Tatsache, dass die Zahl der Lokalseiten in der taz gesunken ist.
Die Entwicklung geht eindeutig in Richtung Digital: Print sei immer noch die „Cashcow“, so Bascha Mika, ehemals taz-Chefredakteurin, später zur Frankfurter Rundschau gewechselt. 2019 führte sie im Deutschlandfunk das Bild weiter aus: Print sei „eine alte Kuh, in die Jahre gekommen, nicht mehr so ganz fit. Aber sie gibt immer noch Milch.“ Daneben steht das Digitale als „Kälbchen, das wir seit Mitte der 90er Jahre versuchen zu päppeln, und es gibt immer noch keine Milch.“
Um das digitale Kälbchen schließlich doch zu melken, haben die meisten Zeitungen in Deutschland inzwischen Bezahlschranken errichtet. Obwohl zuletzt – auch verursacht durch das größere Interesse an Nachrichten dank der Coronapandemie – der Auflagenschwund langsamer verlief, bleibt es beim Abwärtstrend. Die „üppigen Profitraten von 10, 15 oder gar 20 Prozent“, früher laut Deutschlandfunk „der Normalfall im Zeitungsgeschäft“, sind Geschichte. Auf die sinkenden Umsätze reagieren die Verlage mit Sparmaßnahmen. Sie betreffen den größten Kostenposten: das Personal in den Redaktionen.
Das liebe Geld
Durch Entlassungswellen und Stellenstreichungen hat sich Journalismus zu einer Branche von Selbstständigen entwickelt, von denen die meisten unterdurchschnittlich verdienen. Bei Tageszeitungen tätige Freie erhalten im Schnitt 1.395 Euro brutto im Monat, rund 16.740 Euro im Jahr, ergab eine Umfrage des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) aus dem Jahr 2014. Wer angestellt ist, hat oft Verträge, die schlechter sind als in besseren Zeiten verhandelte Tarife – an die sich die taz übrigens nie gehalten hat.
Die schlechte Bezahlung macht den Beruf unattraktiver. Das gilt besonders für die Lokalredaktionen, in denen wenige Personen immer mehr Aufgaben schultern müssen. Neben der Printausgabe muss selbstverständlich das Internet regelmäßig gefüttert werden, und die Zahl der Freien sinkt. Schüler*innen, die früher freiberuflich erste Zeitungspraxis sammelten, tummeln sich heute auf Insta oder Tiktok.
Ein Teufelskreis: Sinkt die Qualität, sinken auch die Auflagen. Es folgen weitere Konzentrations- und Sparrunden. Ein Mittel, um Gehälter zu drücken, sind Tochterfirmen. Ein Beispiel ist das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RDN), das zum Madsack-Konzern mit Sitz in Hannover gehört. Das RND – interner Spottname: Reichsnachrichtendienst – gehört laut eigener Website zu den „größten und meistzitierten Mediennetzwerken Deutschlands“. Dennoch war es „nie tarifgebunden“, kritisieren DJV und die Deutsche Journalisten Union (dju). Das Pikante daran: Über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg) ist die SPD, die Tarifflucht ablehnt, am Madsack-Konzern beteiligt.
Die Zeitungskonzentration betrifft die Freien, die früher mehrere Zeitungen beliefern konnten. Sie betrifft aber vor allem eine Gesellschaft, die mit dem Verlust von selbstständigen Redaktionen Stimmen im Debattenkonzert verliert – die auch Politik, Kultur, NGOs und anderen fehlen. Bei Pressekonferenzen auf Landesebene sitzen immer weniger Journalist*innen – und auf lokaler Ebene werden Termine, die sich nicht gut klicken, oft gar nicht mehr besucht.
Es geht um alle und alles
Egal? Nein, es ist dramatisch. Denn was der Bundeskanzler und der US-Präsident so machen, kriegt jeder von uns in Echtzeit mit. Was in meiner Gemeinde passiert, kann mir nur ein lokales Medium liefern und einordnen.
„Medien sind ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Ausschlaggebend ist dabei die Vielfalt der Angebote und Anbieter. Diese Vielfalt ist heute wichtiger denn je“, heißt es in einer Stellungnahme der Landesregierung Schleswig-Holstein zur Lage der Medien im Land. Besorgniserregend seien auch die Schmäh- und Hasskampagnen im Netz, Angriffe gegen Journalist*innen sowie „ein deutlicher Anstieg des Misstrauens gegenüber professioneller Medienberichterstattung“, so Monika Grütters (CDU), Medien-Staatssekretärin der vorherigen Bundesregierung.
Doch wie kann Lokaljournalismus künftig aussehen, vor allem: Wie wird er bezahlt? Seit Jahren wird über Formate und lokale Portale jenseits der klassischen Verlage nachgedacht, mehrere Projekte sind gestartet – mit mehr oder weniger Erfolg. Denn gerade im Lokalen ist die Zahl der möglichen Leser*innen meist zu gering, um eine Internetzeitung allein über Abos oder Spenden zu finanzieren.
Noch bis 2023 läuft ein Förderprogramm der Bundesregierung, das eine „strukturelle Stärkung des Journalismus“ bewirken und neue Wege eröffnen soll. Direkthilfen sind aufgrund der gebotenen Staatsferne in Deutschland verpönt, in Dänemark dagegen fördert der Staat die Presse direkt und will die Hilfe noch ausweiten. Geld könnte aus einer Kulturabgabe kommen, die Streamingdienste zahlen sollen.
In England finanziert der öffentlich-rechtliche Sender BBC Stellen in Lokalzeitungen, um die Redaktionen zu stärken. Eine Idee aus der Schweiz ist eine gemeinsame Plattform mit technischer Infrastruktur, um Medien-Start-ups die Arbeit zu erleichtern. Dafür könnte es eine Finanzierung aus Stiftungen oder der öffentlichen Hand geben.
Keine dieser Ideen ist ein Königsweg, aber es ist wichtig, weiter nach einer Lösung zu suchen. Denn gesellschaftlicher Austausch ist eben vor allem wichtig, wo das Leben spielt, und das sind nicht nur die Zentren, sondern auch die kleinen Orte, wo Blätter wie die Schaumburger Nachrichten oder die Glückstädter Fortuna erscheinen.
Dort gibt es manchmal auch unerwartete Happy Ends: Jenes zerstrittene nordfriesische Dorf einigte sich, einen Bürgerwindpark zu gründen, so dass alle von den Mühlen profitieren konnten. Und die Zeitung berichtete darüber.
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