piwik no script img

berliner szenenMein erster Kontakt diese Woche

Den Freitag darauf rief D. an. M. sei wieder im Krankenhaus. Halb bewusstlos aufgefunden vor der offenen Balkontür. Diabetischer Schock. Intensivstation, aber nicht mehr in Lebensgefahr. Genau wie vor zwei Monaten. Und etliche Male in den letzten Jahren. Dass er morgen nicht da sein würde, fühlt sich grau an. Seit Jahren sehen wir uns jeden Samstagnachmittag, außer, er ist im Krankenhaus oder Weihnachten fällt auf einen Samstag. In der Wirklichkeit können wir nicht mehr viel bewegen, so spielen wir Schach mit echten Figuren.

Zum Glück gewinne ich meist, zum Glück gewinnt er manchmal. Bis jetzt hatten die Intensivstationen sein Schachspiel nicht beeinträchtigt, es war eher besser geworden. Ich telefoniere mit K., die morgen auch kommen wollte. Es ist alles traurig. Wir beschließen, uns stattdessen dann eben dort zu treffen, wo wir uns sonst verabschieden, wenn wir bei M. gewesen waren.

Der Samstag ist hellgrau. Etwas unschlüssig gehen wir spazieren. „Sie ist meine erste Kontaktperson diese Woche“, hätte man vor einem Jahr geschrieben. Das Souterraincafé mit dem guten Kuchen scheint es nicht mehr zu geben oder wir haben es übersehen und landen schließlich in einem Café am Südstern mit Blick auf den Südstern. 300 Meter Luftlinie vom Urban entfernt, gleich bei dem Späti, wo M. immer getrunken hatte bis in den Herbst 2017. Man denkt dann immer, er passt zu wenig auf, er soll die Pflegenden jubelnd begrüßen, wenn sie den heiligen Samstagnachmittag unterbrechen, an dem er für Momente seinen kaputten Körper vergessen kann. Aber er gibt ja auch wirklich zu wenig acht. K. schreibt M. eine Postkarte an seine Heimatadresse. Dass die Sonne scheint, dass Schachspielen hier verboten ist und dass es bei ihm viel angenehmer ist, auch weil die Heißgetränke umsonst sind. Detlef Kuhlbrodt

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen