Kultur am Rande der Gesellschaft

SUCHTPRÄVENTION In der Theatergruppe „Wilde Bühne“ spielen ehemalige Drogenabhängige. Sie wollen aufklären – ohne den Zeigefinger zu erheben

Das Leben von Jonas ist ein Drahtseilakt. Er balanciert, doch bei jedem Schritt, den er macht, gerät sein Leben ins Schleudern. Was bleibt, ist Hilflosigkeit und das Gefühl, alleine im Leben zu stehen. Ein Zustand, den Axel nur allzu gut kennt. Er spielt den Jonas im Stück „Helden im Netz“ der Schauspielgruppe „Wilde Bühne“, in dem es um Computerspielsucht geht. Der Drahtseilakt ist der Einstieg in das Stück. Als ehemaliger Drogenabhängiger hat der Laienschauspieler schon mit elf Jahren den Halt verloren. Erst kam der Alkohol, später harte Drogen. Er verbrachte eine lange Zeit seines Lebens im Rausch. Kuriert habe ihn das Theaterspielen, erzählt er. „Ich habe direkt nach dem Entzug hier angefangen. Das Theater hat mir geholfen, einen Weg zurück ins Leben zu finden“, sagt er. Mittlerweile schreibt er Musikstücke und will einen Marathon laufen. Mit Axel zusammen spielen elf weitere, ehemalige Drogenabhängige bei dem freien Theaterprojekt.

Dass es für sie diese Möglichkeit gibt, verdanken sie Jana Köckeritz und Michaela Uhlemann. Die beiden Schauspielerinnen und Kunsttherapeutinnen gründeten die Wilde Bühne im Jahr 2003 in Bremen – als Ableger des gleichnamigen Vereins in Stuttgart. Seitdem proben sie in einem Raum, den ihnen die Bremer Suchtprävention zur Verfügung gestellt hat. Eine überstandene Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht ist die Voraussetzung, um bei der Wilden Bühne spielen zu können. Die Teilnehmer müssen aber clean sein – wer rückfällig wird, darf nicht auftreten.

Nach den Aufführungen schildern die Schauspieler ihre Lebensgeschichte und beantworten Fragen aus dem Publikum. „Wir wollen uns nicht verstecken, sondern das weitergeben, was wir gelernt haben“, sagt Sebastian, der nach dem Entzug sein Fachabitur nachgemacht hat und jetzt Theaterpädagogik studiert. Die Wilde Bühne spielt deswegen häufig an Schulen. Der erhobene Zeigefinger bleibt dabei außen vor. Sie wollen die Jugendlichen nicht belehren, sondern sich als Gesprächspartner anbieten – und das gelingt ihnen auch.

Das größte Problem der Gruppe bleibt allerdings die Finanzierung. Fördergelder der Aktion Mensch, laufen zum Jahresende hin aus. „Allein von unseren Auftritten, können wir uns nicht finanzieren“, sagt Köckeritz. Deswegen sei man ständig auf der Suche nach neuen Sponsoren.

Eine neue Chance gibt es im November. Dann wird der Theaterförderpreis „Theater bewegt“, der mit insgesamt 60.000 Euro dotiert ist, vergeben. Die Wilde Bühne ist dabei unter die letzten elf von 250 Kandidaten gekommen. CHRISTOPH PAGEL