„Ich wähle atomwaffenfrei“

Die Organisation IPPNW hat das Berufsethos der Ärzte um eine politische Komponente erweitert

Vor etwas weniger als zwei Wochen fand in Berlin die größte Anti-Atom-Demonstration seit über 20 Jahren statt, in etwas weniger als zwei Wochen gehen die Bundestagswahlen über die Bühne. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. – hat sich als weißer Block mit Luftballons und Faltblättern unter das Demonstrantenvolk gemischt und Postkarten mit dem Slogan „Ich wähle atomwaffenfrei“ verteilt. Selbst bei so manch eingefleischtem Gegner von Atomenergienutzung sorgen diese an Bundeskanzlerin Angela Merkel adressierten Postkarten für Verwunderung. Wo gibt’s denn heute noch Atomwaffen? Nicht nur in den „Schurkenstaaten“, wie George Bush sie nannte, sondern auch in vielen westlichen Industrieländern, nicht zuletzt in Deutschland. 20 US-Atomwaffen lagern nach wie vor in der Bundesrepublik.

„Während alle anderen Fraktionen für ein atomwaffenfreies Deutschland eintreten, blockiert die CDU/CSU-Fraktion immer noch die Abrüstung“, sagt die Pressesprecherin der IPPNW, Angelika Wilmen. International Physicians for the Prevention of Nuclear War, kurz IPPNW, wurde 1980 zur Zeit des Kalten Krieges von einem russischen und einem amerikanischen Kardiologen gegründet. „Wir werden euch nicht helfen können“, hatte das Gründungsmitglied Bernard Lown in seiner Rolle als Arzt der Bevölkerung unverblümt erklärt, um zu zeigen: Dem Atomkrieg muss vorgebeugt werden.

Als Yevgeny Chazov und Bernard Lown 1985 nach tatkräftigem politischem Einsatz und erfolgreichen Lobbygesprächen den Friedensnobelpreis für die IPPNW entgegennahmen, hatte die Ärztevereinigung bereits 200.000 Mitglieder aus über 60 Ländern. Aktuell in Deutschland sind es rund 7.000 Ärzte und Ärztinnen, Medizinstudierende und Fördermitglieder. Auch wenn seit den 80ern das Gefühl konkreter Bedrohung durch einen Atomkrieg in Deutschland und anderswo abgenommen hat, bleibt die langfristige Vision einer atomwaffenfreien Welt – von der auch Barack Obama als erster US-Präsident in seiner Rede in Prag sprach – unbedingt auf der Agenda des Ärztevereins. Darüber hinaus haben sich die Betätigungsfelder der IPPNW kontinuierlich ausgeweitet. „Ab einem gewissen Punkt führte der Einsatz gegen den Atomkrieg ganz allgemein zu einem Engagement zur Vorbeugung von Kriegen. Also haben wir Friedenspolitik als wichtiges Aufgabenfeld in unser Programm aufgenommen. Seit der Katastrophe von Tschernobyl treten wir auch für den Atomausstieg und die Nutzung erneuerbarer Energien ein“, erzählt Wilmen. Das präventive und politische Selbstverständnis der Organisation zieht sich wie ein roter Faden durch die diversen Aufgabenfelder.

Bei dieser Verortung, die das Berufsethos der Ärzte um eine politische Komponente erweitert hat, ist es nur konsequent, dass die IPPNW bei der Demonstration für den Atomausstieg in den letzten Wochen des Bundestagswahlkampfs auf den Plan getreten ist. Zusammen mit Eurosolar, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien e. V., und DNR, dem Deutschen Naturschutzring, hat die Ärzteorganisation ein Faltblatt mit dem Titel „Glaubst du das wirklich?“ für den „Atomausstieg und 100 % Erneuerbare Energien in Bürgerhand“ herausgegeben und auf der Demonstration verteilt. Angesichts der gemeinsamen Mobilisierung der Vereine stellt sich die Frage, um welche spezielle Qualifikation die IPPNW das Engagement gegen Atomenergie bereichert: „Ganz klar – um den medizinischen Gesichtspunkt. Über gesundheitliche Risiken der Atomenergie können die Ärzte und Ärztinnen der IPPNW am besten informieren“, hält Angelika Wilmen fest. „Zuletzt haben wir eine Petition an den Deutschen Bundestag in die Wege geleitet, in der wir auffordern, den Strahlenschutz für den Bürger zu verbessern. Nachdem das Mainzer Kinderkrebsregister im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz eine Studie veröffentlicht hat, in der eine Korrelation zwischen der Häufigkeit von Krebs bei Kindern und der Nähe des Wohnorts zu Kernkraftwerken festgestellt wurde, ist es die Pflicht der Ärzte, darüber aufzuklären.“ Zur Aufklärungsarbeit: www.ippnw.de SARAH BURGNER

25 Jahre Benefizkonzerte der IPPNW

„Mit Kultur Politik machen“ wollte schon Theodor Heuss, und das ist seit 1984 auch das Leitmotiv einer IPPNW-Initiative, die damals in Berlin begann. Am 19. und 20. September feiert die IPPNW dieses Jubiläum ihrer Benefizkonzerte in der Berliner Philharmonie. Viviane Hagner, Alban Gerhardt, Steven Osborne und das Pellegrini Quartett bestreiten das musikalische Rahmenprogramm. Bernard Lown, Gründungsmitglied des IPPNW und Träger des Friedensnobelpreises, wird seine Biografie vorstellen und mit dem Physiker Hans-Peter Dürr, der den Alternativen Friedensnobelpreis erhalten hat, und der Generalsekretärin von Amnesty International, Monika Lüke, an einem Symposium zum Thema „Prescription for Survival, Über-Lebens-Schritte“ teilnehmen.