Eine neue Weltordnung ist längst da

GIPFELTREFFEN Die Finanzkrise hat das Ende der G 8 beschleunigt. Doch an ihre Stelle tritt keineswegs die G 20. Vielmehr wenden sich die USA und China direkt einander zu. Die Folge: Europa wird Federn lassen müssen

■ Anders als in der G 8, die in den vergangenen drei Jahrzehnten das Geschick der Welt bestimmt hat, sind in der Gruppe der 20 (G 20) nicht nur die stärksten Industrienationen, sondern auch aufstrebende Volkswirtschaften wie Brasilien, China, Indien, Südafrika, Saudi-Arabien, Südkorea und Mexiko vertreten. Damit repräsentiert die Gruppe insgesamt zwei Drittel der Weltbevölkerung, knapp 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft und einen Großteil des Welthandels.

■ Die Gruppe wurde 1999 als Reaktion auf die Finanzkrisen in Asien, Russland und Brasilien gebildet – zunächst jedoch nur auf Ebene der Finanzminister. Seit der Lehman-Pleite und der darauf folgenden globalen Wirtschaftskrise sitzen jedoch die Staats- oder Regierungschefs bei den Gipfeltreffen am Konferenztisch. Die EU wird durch die jeweilige Ratspräsidentschaft und die Europäische Zentralbank vertreten. Auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) sind dabei. Zum G-20-Gipfel im US-amerikanischen Pittsburgh Ende September sind auch Spanien und die Niederlande eingeladen, obwohl sie nicht Mitglied der G 20 sind.

■ „Es gibt zu viele Gipfel“, entfuhr es Kanzlerin Angela Merkel beim letzten G-8-Gipfel im italienischen L’Aquila. Nach ihrer Einschätzung wird es noch im kommenden Jahr einen Entschluss über eine neue Struktur geben. Einem G-8-Treffen misst sie allenfalls noch den Rang eines Vorgesprächs bei. (flee)

VON FELIX LEE

In Deutschland wurde diese Meldung allenfalls als Nebenschauplatz abgetan. Dabei hat Anfang September etwas stattgefunden, was die bisherige Weltwirtschaftsordnung grundlegend auf den Kopf stellen könnte: Als erstes Land überhaupt hat China Anleihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Wert von rund 50 Milliarden Dollar gekauft.

Ein Affront gegen die USA. Denn damit schafft China vorab Fakten für ein Vorhaben, womit Peking seit Monaten die Gemüter in Washington und New York hochkochen lässt: Nicht weniger als die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung streben die Chinesen nach offizieller Lesart an. Die Zentralbank in Peking hatte bereits beim G-20-Gipfel in London vorgeschlagen, die sogenannten Sondererziehungsrechte (SZR) des IWF doch zu einer multinationalen Reservewährung weiterzuentwickeln – und damit den US-Dollar abzulösen.

Um mehr als Drohgebärden handelt es sich dabei – zumindest vorerst – nicht. Denn so sehr sich Peking wünscht, den Dollar irgendwann mal als Leitwährung abzulösen – geschätzte zwei Drittel ihrer gigantischen Währungsreserven in Höhe von 2 Billionen Dollar halten die Chinesen momentan in US-amerikanischen Staatsanleihen und anderen Schuldenpapieren. Würde der Dollar an Wert verlieren, würden auch ihre Vermögenswerte darunter leiden. Und dennoch: Als Verhandlungsmasse für Zugeständnisse der US-Amerikaner taugt diese Drohkulisse allemal. Um die Chinesen zu besänftigen, versuchen die US-Amerikaner seit Monaten hinter geschlossenen Türen auf sie einzuwirken. Europäer sind bei diesen Gesprächen nicht mit dabei.

Ringen um Reformen

Das prägt auch die Gespräche der G 20. Nicht weniger als eine neue globale Finanzordnung hatten sich deren Regierungschefs nach der Lehman-Katastrophe bei ihrem ersten Treffen vergangenen November in Washington zur Aufgabe gemacht. Die sieben führenden Industriestaaten plus Russland (G 8) hatten eingesehen, dass sie diese Aufgabe ohne die aufstrebenden Schwellenländer nicht bewältigen würden. Seitdem wird zwischen den 20 Ländern heftig gerungen um billionenschwere Konjunkturpakete, Bankenvorschriften, die Reform von Weltbank und IWF und Managergehältern. Aus europäischer Sicht mit bisher mäßigem Erfolg.

Und das hat strukturelle Gründe: Anders als noch bei den G-8-Gipfeln in den Jahren zuvor haben es die europäischen Regierungschefs zwar nicht mehr mit einem starrköpfigen und ideologisch verblendeten US-Präsidenten zu tun. Barack Obama ist Argumenten aufgeschlossen und sucht die gleichberechtigte Zusammenarbeit. Doch nicht zuletzt infolge der Lehman-Pleite sieht er sich zunehmend gezwungen, ein neues Zweckbündnis aufzulegen: das zwischen der USA und China.

Peking gibt sich nicht mehr damit zufrieden, nur informell auf Augenhöhe mitzureden

Wie hoch der Druck Pekings auf Washington inzwischen sein kann, zeigte sich bereits unmittelbar vor der Lehman-Pleite. Als größter Anleger in Hypothekenpapiere der beiden großen US-Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sorgte sich die chinesische Regierung um ihr Vermögen, nachdem Fannie und Freddie im Sommer 2008 ins Wanken gerieten. Die Chinesen übten massiven Druck auf die US-Regierung aus, die beiden Institute nicht pleitegehen zu lassen. Washington sah sich zur größten staatlichen Intervention in die Wirtschaft seit den 30er-Jahren veranlasst.

Deutlich wird das Zusammenspiel der beiden Großmächte aber auch im Zuge der G-20-Verhandlungen. In Vorbereitung auf den nun anstehenden dritten Gipfel Ende September in Pittsburgh konnten China und die USA bei einem Treffen in London vergangene Woche durchsetzen, dass die billionenschweren Konjunkturpakete fortgeführt werden – zum Unmut der EU-Länder, die lieber eine Exit-Strategie angestrebt hätten.

Was die weltweit mangelnde Finanzaufsicht betrifft, wurde mit dem „Financial Stability Board (FSB)“ zwar ein neues Kontrollgremium geschaffen. Doch wie genau die strengere Regulierung weltweit durchgesetzt werden soll und mit welchen Sanktionsmöglichkeiten – diese Frage wird wohl zum Leidwesen der Europäer auch nach dem Gipfel in Pittsburgh offen bleiben. Wieder zogen China und die USA an einem Strang.

Zugeständnis bei Boni

Und bei der Frage nach Obergrenzen für Managergehälter und -Prämien kam es in London zu gar keiner Einigung. Während EU-Länder wie Frankreich und Deutschland eine härtere Gangart bei Bonuszahlungen anstreben, lehnen Großbritannien und die USA zum Schutz ihrer Finanzstandorte allzu drastische Maßnahmen ab. Aus dieser Debatte hielt sich China weitgehend heraus. „Wir sehen es als Zugeständnis an unsere Freunde in Amerika“, sagte ein chinesischer Regierungsvertreter bei seiner Rückkehr nach Peking.

China strebt nicht weniger als die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung an

Was auffällt: In allen Punkten scheinen sich China und die USA vorab abgesprochen zu haben. Und deswegen ist davon auszugehen, dass es in Pittsburgh in einem weiteren Punkt zu einer Einigung kommen wird, der die Europäer besonders schmerzen dürfte: eine Reform der Weltfinanzinstitutionen, sprich Weltbank, IWF und des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht.

Peking gibt sich schon seit längerem nicht mehr damit zufrieden, nur bei der informellen G-20-Runde auf Augenhöhe mitzureden. Zusammen mit den anderen BRIC-Staaten (Brasilien, Russland und Indien) fordern die Chinesen auch mehr Mitspracherecht bei den offiziellen internationalen Institutionen. Dabei werden sie unterstützt von der UN. Noch hält Europa allein im Währungsfonds acht von 24 Direktorenposten. Die USA verfügen gar über ein Vetorecht. Bei der Weltbank sieht der Proporz nicht anders aus.

Und so ist ist klar, dass in Pittsburgh ein Fahrplan festgelegt wird, bei dem es nicht nur um die neuen Steuer- und Kontrollinstrumente der Weltfinanzinstitutionen gehen wird. Die IWF-Reform soll bis Januar 2011, die der Weltbank schon bis Frühjahr 2010 abgeschlossen werden. Wer bei diesem Prozess Federn lassen muss – da sind sich die USA und die Schwellenländer einig: die Europäer.