: Zugang finden – oder nicht
„Nation, Narration, Narcosis“ im Hamburger Bahnhof versammelt über 50 ostasiatische und westliche Künstler*innen, überlässt aber sein Publikum zu sehr sich selbst
Von Beate Scheder
Die Künstlerin Kawita Vatanajyankur ist 1987 in Bangkok geboren. In Thailand gilt sie seit einiger Zeit als vielversprechende aufstrebende Künstlerin. Sie ist jung, feministisch, konsumkritisch, mutig, arbeitet mit Performance und Videokunst. Oft beschäftigt sie sich mit weiblicher Arbeit, mit der unbezahlten in Haus und Familie, oder aber mit der in der thailändischen Textilindustrie, und das stets mit vollem Körpereinsatz. In ihrer „Performing Textiles Series“ verwandelt sie ihren Körper in Werkzeuge der Stoffproduktion, er wird zur Webnadel, zum Spinnrad – oder aber zur Vorrichtung zum Faserfärben: Wie eine Perücke trägt sie in einem der Videos ein Knäuel auf dem Kopf und lässt sich kopfunter wieder und wieder in die Farbe tauchen.
Ebendieses ist gerade im Hamburger Bahnhof in der Ausstellung „Nation, Narration, Narcosis “ zu sehen. Der Hamburger Bahnhof wirbt sogar damit. Hintergründe zu der Arbeit liefert die Schau jedoch keine. Die üblichen Angaben stehen auf dem Schild daneben: Name der Künstlerin, Titel der Arbeit, Länge, auch dass sie Teil der Sammlung des Maiiam Contemporary Art Museum ist. Mehr nicht. Von einer angeblichen Broschüre, die Informationen zu einzelnen Arbeiten liefern soll, wissen weder Kassen- noch Aufsichtspersonal.
Vatanajyankurs Video ist eine Arbeit, zu der man auch einfach so Zugang finden kann, weil sie knallig bunt ist und weil sie ihr Thema so deutlich herausstellt. Bei vielen weiteren Exponaten ist das nicht unbedingt der Fall.
„Nation, Narration, Narcosis“ ist Teil des größeren Projekts „Collecting Entanglements and Embodied Histories“, einem seit 2017 vom Goethe-Institut initiierten und unterstützten Recherche-Dialog, der Kunstinstitutionen, ihre Sammlungen und Kuratorinnen aus Indonesien, Thailand, Singapur und Deutschland miteinander verknüpft. Beteiligt sind die Galeri Nasional Indonesia, das thailändische Maiiam Contemporary Art Museum, die Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin und das Singapore Art Museum.
Um Geschichten, Gegengeschichten und vergessene Geschichten und die Frage, wie sie sich in kollektiven wie individuellen Identitäten niederschlagen, geht es darin, um nationale Mythen, die kulturelle Bedingtheit von Biografien und mögliche Alternativen. Die Berliner Ausstellung, kuratiert von Anna-Catharina Gebbers, konzentriert sich auf Formen des politischen Protests, auf historische Traumata und gesellschaftliche Narrative vom 19. Jahrhundert bis ins Hier und Jetzt. Arbeiten von über 50 Künstler*innen wurden dafür zusammengetragen.
„Nation, Narration, Narcosis“ zieht sich über zwei Etagen des Westflügels und integriert dabei die Beuys-Werke, die dort dauerhaft stehen. Dessen Plastik gewordene Ideen zu Gemeinschaft, Schöpfertum und Handlungsmacht in neuen Zusammenhängen zu betrachten, ist ein durchaus interessanter Gedanke. Im Kontext mit Korakrit Arunondchais „Songs for Dying“ etwa, einer Videoinstallation über den ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens, im persönlichen wie im kollektiven Sinne. Aufnahmen von prodemokratischen Protesten in Thailand gegen das Militär und die Monarchie sind dort unter anderem zu sehen, spirituelle Traditionen wie popkulturelle Anspielungen.
Auch diese Installation erschließt sich nur, wenn man sie sich komplett ansieht und die Referenzen zu lesen weiß. Schwer nachvollziehbar ist es, dass die Kuratorin ihr Publikum in der Deutung – abgesehen von den sehr überschaubaren Wandtexten – sich selbst überlässt. Im Frühjahr soll ein Katalog zur Schau beim Kerber Verlag erscheinen. Inwieweit dieser tatsächlich weiterhelfen kann, die Arbeiten und die Verbindungen zwischen ihnen zu verstehen, ist bei den vielen hierzulande noch eher unbekannten Positionen ohnehin fraglich. Die Ausstellung komplex zu nennen, wäre eine Untertreibung.
Freilich geht es um eine Gratwanderung. Ein Zuviel an Erklärung birgt die Gefahr der Überinterpretation, der Belehrung. Muss die Konsequenz daraus aber wirklich lauten, sie einfach wegzulassen? Folgt daraus nicht zwangsläufig, dass sich das Publikum nur noch oberflächlich umschaut und sich auf diese Weise Exotismen reproduzieren, wenn Kontexte zu Bildern zusammenschrumpfen und man nur noch wahrnimmt, dass etwas „anders“ aussieht? Kann man wirklich annehmen, dass sich jemand die Mühe macht, während oder nach dem Ausstellungsbesuch selbst nachzurecherchieren? Was bewirkt sie dann noch, die an sich lobenswerte Idee, südostasiatische Positionen zu zeigen?
Trotz einer beachtlichen Künstler*innenauswahl sind daher am Ende drei schmale Tische am interessantesten. Auf ein paar DIN-A4-Ausdrucken wird darin von alternativen Bewegungen und Gruppierungen von Künstler*innen aus Chang Mai, Bandung und Yogyakarta sowie Singapur berichtet, die dort Denk- und Sichtweisen veränderten. Ein kleiner Hinweis liegt auch dabei, diese Exponate seien noch nicht final. Möglicherweise kommt da sogar noch etwas.
Bis bis 3. Juli, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, im Frühjahr erscheint ein Katalog (Kerber), voraussichtlich 45 Euro
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