was wollen wir wissen
: Warum die taz nord eine wöchentliche regionale Seite über Wissenschaft braucht

Wissenschaft passiert nicht jenseits von Zeit und Raum in irgendeiner unnahbaren Ferne. Wissenschaften werden gleich nebenan betrieben

Die taz nord hat ab sofort jeden Montag eine wöchentliche Wissenschaftsseite. Sie einzurichten folgt der gleichen Logik, mit der auch auf den vorderen Seiten der taz auf Forschung geschaut wird. Gerade im Zuge der Coronapandemie hat Wissenschaftsjournalismus an Bedeutung gewonnen, weil die Zahl politischer Entscheidungen, die sehr unmittelbar auf sehr neue wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren müssen, deutlich zugenommen hat.

Sie hatten ohnehin längst den Alltag bestimmt – weil die Mittel der Kommunikation, Unterhaltung und Fortbewegung ja allesamt aus unbewusst genutzten Sets von Lehrsätzen sind: Objekte angewandter Wissenschaften. Jetzt aber ist ihre Wirkung unübersehbar. Und umso dringender scheint es, diese Grundlagen des Handelns nachvollziehbar und diskutierbar zu machen. Oder es wenigstens zu versuchen – gerade weil Entfremdung und Distanz zu diesen Modellen frustrierend sind und eine ungute Feindseligkeit gegen Forschung schüren. Das ist also Punkt eins.

Punkt zwei ist aber eine Frage des Standorts, der Regionalität. Denn Wissenschaft passiert eben nicht jenseits von Zeit und Raum in irgendeiner unnahbaren Ferne. Wissenschaften werden gleich nebenan betrieben – und sind zugleich global vernetzt: Wer am UKE in Hamburg die Wirkung von THC erforscht, wird seine Einsichten mit denen abgleichen, die in Ländern gemacht werden, in denen Cannabis freigegeben ist, wie Kanada.

Das ist das Gegenstück zu einem erkenntnistheoretischen Dilemma. Die Erkenntnisse, die Wissenschaften produzieren, sollen zwar universell gültig sein. Umgekehrt sind sie aber nicht unabhängig, weder von der Epoche noch der Gegend, in der sie praktiziert werden. Das bedeutet nicht, dass sie von äußeren Faktoren wirklich determiniert wären oder ihre Einsichten nur kontextbezogen von Bedeutung. Sie sind keine bloßen Meinungssysteme, sondern zielen auf das ab, was Fakt ist. Und nicht auf das, was an alternative factsbehauptet oder sogar geglaubt werden mag.

Die Erde ist immer eine Kugel gewesen, auch wenn Menschen einmal etwas anderes geglaubt haben sollten. Und in der Zeit, als für wahr gehalten wurde, dass die Sonne um die Erde kreist, war trotzdem das Gegenteil richtig. Wissen wir heute. Angst vor der Wahrheit braucht keiner zu haben.

Wissenschaften beziehen aber ihre Fragestellungen zumindest teilweise aus den Kontexten, in denen sie sich bewegen: Meeresbiologie hat eher in Bremerhaven oder Kiel ihre Standorte als in Stuttgart. Ist ja so überraschend nicht. Warum sich globalgeschichtliche oder postkoloniale und transkulturelle Studien zumal in Hamburg und Bremen etabliert haben, hat historische und hochschulhistorische Gründe, ist aber schon kniffliger zu erklären.

Aber selbst dort, wo sich direkte Zusammenhänge nicht feststellen lassen, bleiben Wissenschaften, ihre Institutionen und das Gemeinwesen, das sie trägt, aufeinander bezogen. Sie halten einander in Bewegung. Man kann darauf hoffen, dass es sich um Fortschritt handelt. Regionaljournalismus hat die Aufgabe, das zu erkunden. Fast schon peinlich, dass wir damit so lange gewartet haben. Benno Schirrmeister