Das treibt Rot-Grün-Rot um

Wieder einmal ein Jahr der Entscheidungen: Schnell soll es 2022 dabei mit dem Posten des Polizeibeauftragten gehen, während über die Vergesellschaftung erst noch diskutiert wird. Geflüchtete brauchen Platz in der Stadt, im Umgang mit der Kolonialgeschichte steht ein Richtungswechsel an

Dass überhaupt das Gespenst umgehen kann, mussten erst Enteignungsaktivisten viele Unterschriften sammeln Foto: Christian Mang

Mit dem Polizeibeauftragten soll es jetzt ganz schnell gehen

Der Posten hat inzwischen die Anmutung eines Ladenhüters. Schon in der letzten Legislaturperiode war vorgesehen, dass Berlin einen unabhängigen Polizei- und Bürgerbeauftragten bekommt. Aber das damalige rot-rot-grüne Regierungsbündnis erreichte es gerade mal mit Ach und Krach, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung des Postens zu schaffen. „Schnellstmöglich“ wolle man nun die Stelle der/des Bürger- und Polizeibeauftragten besetzen, heißt es in der aktuellen rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung.

„Das wird im Januar sicherlich einer unserer ersten Schritte sein, über das weitere Vorgehen zu beraten“, sagte Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, am Montag zur taz. Er gehe davon aus, dass alle drei Parteien Interesse daran hätten, die Stelle zügig zu besetzen.

Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, bestätigt das. In der ersten Jahreshälfte 2022 werde Berlin einen oder eine Polizeibeauftragte/n haben, prophezeit Lux.

Daran, dass sich die Linken eine Person mit einer bürgerrechtlichen Orientierung wünschten, habe sich nichts geändert, betont Schrader. Eine formale Stellenausschreibung werde es eher nicht geben, die Entscheidung werde von den Fraktionsspitzen getroffen. Die Fachpolitiker würden entsprechende Vorschläge unterbreiten, sagt Lux. „Ich bin da auch kompromissbereit“, sagt der Grüne.

Eine Paketlösung möglich

Auch Tom Schreiber, innenpolitischer Sprecher der SPD, betonte großes Interesse an einer zeitnahen Besetzung des Postens. Er könne sich eine Paketlösung vorstellen, denn auch die Stelle der Datenschutzbeauftragten sei neu zu besetzen. „Es wäre gut, das in einem Aufwasch hinzubekommen, mit guten Persönlichkeiten in den Ämtern.“

Schreibers Vorgänger, der frühere innenpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann, hatte noch in der vergangenen Legislaturperiode zur taz gesagt, dass ein radikaler Polizeikritiker auf dem Posten für die SPD ein No-Go sei, weil er zu der Behörde nicht das erforderliche Vertrauen aufbauen könne.

Schreiber drückte es am Montag so aus: Einen aktiven Polizisten könne er sich in dem Amt genauso wenig vorstellen wie einen Rechtsanwalt, der ständig Polizisten verklage. Eine Person mit Behördenkenntnissen und Profil, so Schreiber, sollte es sein, unterstützt von einem Mitarbeiterteam, das den Querschnitt der Bevölkerung repräsentiere und auch kritische Töne gegenüber der Polizei anschlage. „Der Polizeibeauftragte soll schließlich kein Pressesprecher der Polizei sein.“

Plutonia Plarre

Die Zahl der Geflüchteten steigt, noch können sie untergebracht werden

Der Platz für geflüchtete Menschen wird knapp. Laut dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) kommen jährlich über 15.000 Menschen mit Hoffnung auf ein erfolgreiches Asylverfahren in Ankunftszentren an, Tendenz steigend. In diesen Zahlen sind auch Fol­ge­an­trag­stel­le­r:in­nen und Menschen aus Sonderaufnahmeprogrammen dabei.

Um mehr Kapazitäten für die Unterbringung von Geflüchteten zu haben, ist für Februar 2022 auf dem Tempelhofer Feld geplant, einen Teil der Containeranlagen dort zu reaktivieren, um circa 280 Menschen unterbringen zu können. Außerdem werden neue Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) in Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Marzahn und Charlottenburg-Wilmersdorf gebaut.

Bei den MUFs handelt es sich um Neubauten mit einer Apartmentstruktur für Familien mit bis zu zehn Personen. Je nach MUF können bis zu 450 Menschen aufgenommen werden.

Trotz der neu gebauten MUFs bleibt die Auslastung für Berlin sehr hoch. Im Frühsommer 2021 wurde ein großer Anstieg von Geflüchteten verzeichnet, nachdem die Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit Corona aufgehoben wurden. Reserveorte wie Blumenberger Damm, Quittenweg oder Hausvaterweg wurden deswegen als Aufnahmeeinrichtungen reaktiviert.

Seit Juni 2021 kamen monatlich durchschnittlich 2.000 Menschen in Berlin an. Darüber hinaus wurden im Jahr 2021 1.000 weitere Personen über Landesaufnahmeprogramme sowie humanitäre Aufnahmeprogramme – Geflüchtete von griechischen Inseln, aus dem Libanon und afghanische Ortskräfte – versorgt. Das macht die Situation mit den ohnehin schon knappen Berliner Plätzen schwierig. Aktuell gibt es etwa 40 freie Plätze in einer Erstaufnahmeeinrichtung und 780 in Gemeinschaftsunterkünften.

Fast die Hälfte aller geflüchteten Menschen, die in Sammelunterkünften leben, müssten dort den Vorschriften nach nicht mehr wohnen. Ende Dezember wohnten insgesamt 21.105 geflüchtete Menschen in Berliner Erstaufnahme- und Sammelunterkünften. Bei ungefähr 9.000 handelt es sich um sogenannte Statusgewechselte. Als solche werden Menschen bezeichnet, deren Asylstatus vom Status einer geduldeten Person in ein reguläres Aufenthaltsverhältnis gewechselt ist. Sie dürften also in einer eigenen Wohnung leben. Da es aber nicht genügend Wohnungen gibt, verweilen sie weiter in Lagern.

Das LAF betont, dass es sich bei der Aufnahme von Geflüchteten um eine gesamtstädtische Aufgabe handelt. Noch ist die Unterbringung möglich, aufgrund des hohen Zulaufs aber wird es knapp. Shoko Bethke

Die Debatte über Vergesellschaftung geht inhaltlich erst richtig los

Es kommt nicht oft vor, dass sich die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) und der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) einig sind. Doch in ihrer Ablehnung des Koalitionskompromisses zur Einsetzung einer Enteignungs-Expertenkommission war ihre Kritik zumindest vordergründig einvernehmlich. BBU-Vorständin Maren Kern hatte in einem Interview mit der Wirtschaftswoche kritisiert, dass sowohl die 100 Tage Besetzungsfrist für die Kommission als auch deren veranschlagte Arbeitsfrist von einem Jahr „viel zu lang“ sei. Auch aus der Kampagne war scharfe Kritik an diesem „Aufschieben“ zu hören.

Während Kern jedoch eine weitere Unsicherheitsphase für Immobilienunternehmen befürchtet, haben die Ak­ti­vis­t:in­nen Sorge davor, dass ihr durch den Volksentscheid legitimiertes Anliegen erst auf die lange Bank geschoben und dann vom Tisch gewischt wird.

Warten auf den März

Doch aller Kritik zum Trotz: Der Formelkompromiss steht. Der kurz vor Weihnachten vereidigte Senat wird sich bis zum 31. März darüber streiten können, wer der Kommission angehören soll.

DWE hat die Forderung formuliert, selbst über mindestens die Hälfte der Mitglieder zu entscheiden – die SPD hat sicher andere Vorstellungen davon. Platzt das Ganze nicht schon an dieser Frage, könnte das Gremium ab April seine Arbeit aufnehmen.

Als öffentliches Gremium sollen Zwischenstände seiner Arbeit stets kommuniziert werden, können also von der Zivilgesellschaft oder auch in parlamentarischen Ausschüssen diskutiert werden.

Doch nicht nur die beauftragten Enteignungsexperten werden das Thema warm halten, auch die Kampagne will weiterhin alles tun, um auf die Umsetzung des Volksentscheids zu drängen. Zuletzt demonstrierte DWE vor der konstituierenden Sitzung des neues Abgeordnetenhauses, drinnen wurden dem neuen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) Tausende Postkarten als Mahnung übergeben.

Geplant ist eine bundesweite Konferenz im Frühjahr, die sich mit der Mietenproblematik einerseits und Enteignungsfragen andererseits beschäftigen soll. Wer bislang schon glaubte, das Thema sei omnipräsent – im neuen Jahr geht die inhaltliche Debatte über Vergesellschaftung erst richtig los.

Erik Peter

Die Benin-Bronzen kehren nach Nigeria zurück

Etwa 1.100 der berühmten Benin-Bronzen befinden sich in Deutschland, 400 davon im Ethnologischen Museum, das einige davon im 2021 eröffneten Humboldt Forum ausstellen wollte. Doch 2022 wird das Jahr werden, in dem viele davon aus Deutschland verschwinden, denn diese Objekte stammen größtenteils aus den britischen Plünderungen des Jahres 1897. Im Oktober haben deshalb eine deutsche Delegation sowie Vertreter Nigerias eine Absichtserklärung unterzeichnet, nach der dieses Jahr mit dem „Eigentumsübergang“ begonnen werden soll.

Vorausschauend auf dieses bahnbrechende Ereignis haben sich nun wichtige Stimmen aus Politik und Museumswelt in Berlin gemeldet. Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) betrachtet die Rückgabe der Bronzen zwar als „Meilenstein“, warnt aber auch davor, dass sie zu einer Art „Ablasshandel“ werden. „Wir müssen auch über postkoloniale, globale Beziehungen, ungerechten Welthandel, fortgesetzte Ausbeutung in der Gegenwart reden“, sagt er der dpa.

Weniger offen äußerten sich hingegen Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Berliner Humboldt Forums. Beide sind mehrfach für ihre Salamitaktik in der Restitutionsdebatte kritisiert worden. Als etwa das berühmte Luf-Boot 2018 von Dahlem ins noch im Bau befindliche Schloss kam, hatte das Parzinger noch groß feiern lassen; erst als 2021 Götz Alys Buch „Das Prachtboot“ erschien, musste eilig an der Präsentation desselben im Humboldt Forum nachgebessert werden. Wenige Wochen bevor 2021 die Verhandlungen über die Bronzen begannen, hatte Dorgerloh auf die Frage nach Nigerias Anspruch auf diese noch ausweichend geantwortet, man werde ihm hier wegen der Bronzen „die Bude einrennen“.

Es ist also wenig verwunderlich, dass sowohl Parzinger als auch Dorgerloh ängstlich an der Relevanz ihrer Institutionen festhalten. So betont Parzinger gegenüber der dpa, man habe „vereinbart, dass weiterhin Kunst aus Benin in Berlin gezeigt werden kann“. Und während Ak­ti­vis­t*in­nen wie die kürzlich in der taz interviewte Sylvie Vernyuy Njobati aus Kamerun die Dringlichkeit vieler Rückgaben von Artefakten im Humboldt Forum beschrieb, versucht Dorgerloh auf Zeit zu spielen. „Zwischen Entscheidungen und deren Umsetzung können Jahre liegen“, sagt er der dpa. Susanne Messmer