kritisch gesehen: Vom Elend der Roman-Dramatisierung
Keine Minute der Besinnung, kein Diskurs auf Dauer. Aber stets dicke Luft. Eine Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs. Figuren am Abgrund der Hysterie. Gerade ist die Bühne ausgeleuchtet, schon wird ein Streit handgreiflich zwischen dem pubertären, mit zionistischer Radikalisierung um seine jüdische Identität ringenden David (Leon Häder) und dem als „Doitscha“ beschimpften Vater (Henning Bäcker), der immer wieder aus seinem Rollenklischee des westfälisch-katholischen Stoikers zur Weißglut provoziert wird. Nur vermittelt sich kaum mehr, als dass der Sohn beim Stichwort Deutscher stets Holocaust assoziiert und zu Israel eine unreflektierte, politisch unkritische Einstellung hat. Der Vater bekommt zu wenig Text, um überhaupt eine Haltung vermitteln zu können. Die jüdische Mutter Adriana lässt diesen Konflikt wie alle folgenden auch in ihrer chronisch unbekümmerten Extrovertiertheit explodieren: Der schnellen Auffassungsgabe folgen schlagfertig pointierte Meinungsäußerungen. Schnellredend bringt sie mit politisch nicht auf Korrektheit achtenden Sarkasmus eher zum Schweigen als zum Miteinanderreden über das schlechte Gewissen der Deutschen, Beschneidung, Militärdienst, israelische Siedlungspolitik, jüdische Kontingent-Flüchtlinge …
Schauspielerisch quirlig überzeugend ist Hauptdarstellerin Marsha Zimmermann. Prima hat sie die hektisch wendigen Bewegungen und Gedanken der Romanautorin Adriana Altaras für die Gestaltung ihres literarischen Doubles auf der Bühne genutzt. Ein Energiebündel ist sie, gibt aber auch überzeugend präzise Altaras’Frankfurter Paulskirchenrede gegen verordnete Trauer, das Abspulen bekannter Mahnformeln und das gemütliche Einrichten im ritualisierten Gedenken an die Novemberpogrome 1938 und die Shoah. Inhaltlich die mit Abstand beste Szene.
Schauspielerisch leider eher nervend gibt Leon Häder den kapriziösen David, schreit häufig wild grimassierend und macht mit fahriger Körpersprache auf dicke Hose, so ist seiner Figur keine Sym- oder Empathie zu gewinnen. Immerhin kurz mal eine brüchige Persönlichkeit spielen darf Isabel Zeumer, die einerseits anrührend an Naziverbrechen erinnert, andererseits sagt: „Einwanderer sind alle Verbrecher.“ Als Randnotiz hockt Jens Bache am Bühnenrand als Sohn Nummer zwei, der findet all die Themen rund ums Jüdischsein in Deutschland total langweilig, möchte als „ganz normaler Junge“ leben, darf im turbulenten Gegeneinander der Positionen aber keine Präsenz entwickeln.
Das ist das Problem der Roman-Dramatisierung. Sie klebt an der Vorlage, kürzt zwei Drittel des Textes, will aber keinen Fokus setzen, sondern alles irgendwie anreißen. Das Ergebnis ist kein Stück, sondern eine Aneinanderreihung von Anekdoten familiären Lebens. Die Aufführung hetzt dabei dem nervösen Tempo der Vorlage hinterher. Und inszenatorisch fiel Regisseur Andreas Rehschuh wenig ein. Zwischen Comedy-Jux und Boulevard-Theaterspaß changieren die meisten Episoden als Kleinkunst-Nummern einer deutsch-jüdischen Themen-Revue. Höchst vergnüglich, aber nicht viel mehr. Jens Fischer
„Doitscha“: Mi, 22. 12., 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven. Weitere Termine vorerst bis Ende Februar 2022
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