Ein
Raumfür Utopien
Die neue Regierung verspricht Fortschritte in der Familienpolitik und der Digitalisierung. Das wird auch höchste Zeit. Auch beim Erhalt der Artenvielfalt muss es im nächsten Jahr vorangehen
Das lässt hoffen: „Für Menschen in Arbeitslosigkeit und Grundsicherung fördern wir vollqualifizierende Ausbildungen bei der beruflichen Weiterbildung unabhängig von ihrer Dauer“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und: „Der Vermittlungsvorrang im Sozialgesetzbuch II wird abgeschafft“.
Im Klartext bedeutet dies, dass Hartz-IV-Empfänger:innen nicht mehr vom Jobcenter ohne Weiteres aufgefordert werden können, doch bitte zuvörderst einen Niedriglohn-Job bei einer Zeitarbeitsfirma anzutreten und etwa eine begehrte Ausbildung nicht anzufangen oder gar sausen zu lassen. „Das ist ein richtig guter Punkt“, lobt Harald Thomé, Berater im Selbsthilfeverein Tacheles in Wuppertal.
Die Empfänger:innen von Hartz IV, künftig „Bürgergeld“ genannt, sollen künftig sogar 150 Euro im Monat zusätzlich bekommen, wenn sie eine abschlussbezogene berufliche Ausbildung machen. Alleinerziehende sollen mehr Möglichkeiten für Ausbildung in Teilzeit erhalten. Das wäre der Traum: Man kann sich etwa als alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin die Ausbildung selbst aussuchen, ob als Ergotherapeutin oder als Kauffrau mit Schwerpunkt Bio und Nachhaltigkeit und dazu sogar die familienfreundlichen Arbeitszeiten wählen. Barbara Dribbusch
Wer könnte wohl etwas Trost spenden in der niemals endenden Pandemie? Richtig: die so wandelbare wie integre, unangefochtene isländische Popdiva Björk. Ihr für 2022 angekündigtes neues Album sei gemacht für Menschen, die ihre Wohnzimmer zu Clubs umfunktionierten, sagte sie kürzlich – insofern könnte selbst der nächste Lockdown die Vorfreude darauf kaum trüben. Ihre Musik soll auch irgendwie beruhigend auf uns wirken, jedenfalls sprach Frau Guðmundsdóttir davon, dass ihr neues Album teils „chillig“ und teils „calm“ sei. Und im Mai 2022 lädt das Centre Pompidou Metz zudem zur Björk-Ausstellung „Un jardin d’intérieur“. Also: Keep calm and chill. Jens Uthoff
Die Verkehrswende wird 2022 einen Schub bekommen – und das nicht nur dank der immer stärkeren Verbreitung von E-Autos. Weitaus folgenreicher ist der bevorstehende Durchbruch autonom fahrender Busse. Denn Fahrer:innen, die im Notfall eingreifen können, müssen nicht mehr als Begleitung an Bord sein. Damit wird die Einrichtung von Shuttle-Diensten billiger, auch der Personalmangel im ÖPNV kann durch selbstständig fahrende Einheiten abgefedert werden.
Die Folge: Es können künftig auf festgelegten Strecken viel mehr Busse in kürzeren Taktungen eingesetzt werden als bisher, der ÖPNV als Alternative zum Auto wird attraktiver. In Dutzenden Pilotprojekten in der Bundesrepublik haben sich autonom fahrende Busse bereits bewährt – jetzt können sie Teil des alltäglichen Betriebs werden. Anja Krüger
freizeit
Diese schuppige, etwas aufgeplatzte Rinde, wie bei einem Reptil, das in der Sonne ausgetrocknet ist. Dann diese rundlichen Blätter mit der Einbuchtung an der Spitze, als hätte jemand hineingeschnitten. Ja, die Schwarzerle sieht schon anders aus als die Winterlinde mit eher geriffelter, geschlossener Baumrinde und zwar ebenfalls rundlichen Blättern, die aber an einem Ende einen Schweif haben und darum süßlicher wirken. Hunderte von pandemiebedingten Spaziergängen an der Berliner Havel haben meine Baumexpertise wachsen lassen. Ein Vorteil der räumlichen Beschränkungen, den man mitnimmt in das Jahr 2022. Barbara Dribbusch
Die erste Fußball-Bundesliga der Männer ist wie zuletzt so oft eigentlich schon zu Jahresbeginn entschieden (zumindest obenrum). Umso mehr können sich Fußballfans darauf freuen, was die zweite Männer-Liga in der Rückrunde zu bieten hat. Ohnehin ist die untere Etage ja inzwischen der attraktivere Ort für Fußballromantiker, spätestens nachdem Werder und Schalke den illustren Kreis der Wir-waren-doch-mal-wers – HSV, Hannover 96, der Nürnberger „Club“ usw. – verstärkt haben.
Doch vor allem die Unwägbarkeit und Unberechenbarkeit machen diese Liga so faszinierend. Zwischen Platz 3 und Platz 15 liegen 10 Punkte, alles ist möglich. Und oben stehen nicht etwa die oben genannten Schwergewichte, sondern: St. Pauli und Darmstadt. Es wird ein Fest, dieses Rennen um den Auf- und Abstieg, und man kann sich jetzt schon den 15. Mai 2022 (letzter Spieltag) fett im Kalender anstreichen!
Fragt sich nur, ob überhaupt noch wer aufsteigen will – denn wer möchte schon in der sterbenslangweiligen ersten Bundesliga spielen? Jens Uthoff
Als zwei ältere Damen, kurz nachdem die eingetragene Lebenspartnerschaft für Lesben und Schwule, die sogenannte Ehe light, 2001 in Kraft trat, genau diese miteinander schlossen, war die Aufregung groß. Die beiden Frauen waren nämlich weder lesbisch noch liebten sie sich im Sinne einer Liebesliebe. Sie wollten einfach nur unkompliziert zusammenleben und im Notfall alles für die andere regeln dürfen, vor allem rechtlich: im Krankenhaus, bei Banken, im Todesfall. Das war für unverheiratete „Paare“ damals überaus schwierig, mitunter erst gar nicht möglich.
Mittlerweile ist alles einfacher und die Alten-WG der neue Kommunenpragmatismus. Damit es noch einfacher wird und rechtlich sicher, will die Ampelregierung das Mietrecht für ein Kommunardenleben im Alter anpassen. Die Mitbewohner:innen sind laut Ampel-Sprachregelung dann „Wahlverwandte“, die sich im „Institut der Verantwortungsgemeinschaft“ befinden. Klingt verdammt nach „Das Gute-Leben-Gesetz“, ist aber trotzdem sinnvoll. Und kiffen soll bald auch legal sein – was kann also schöner sein, als künftig alt zu werden?
Simone Schmollack