Boykottdebatten um Olympia: Macht Sport!
Annalena Baerbock wird in Peking fehlen. Das zeigt, wie mächtig der Sport geworden ist. Nun müssen nur noch die Aktiven stärker werden.
A ls Annalena Baerbock noch nicht zu entscheiden hatte, dass sie als Bundesministerin des Auswärtigen nicht zu den Olympischen Winterspielen nach China reisen wird, fuhr sie noch als Trampolinspringerin für den TSV Pattensen zu Deutschen Meisterschaften.
Das war in den neunziger Jahren, und die gelten als Zeit der boykottfreien Olympischen Spiele. Noch 1988 in Seoul fehlte beispielsweise Kuba, und 1984, 1980 und 1976 hatten sehr große Boykotte die Sportwelt erschüttert. Solche politischen Entscheidungen, mal vom Gros der Warschauer-Pakt-Staaten, mal vom Gros der Nato-Staaten und mal vom Gros der afrikanischen Staaten gefällt, galten als ganz sanfte Formen zwischenstaatlicher Sanktionen: Ehe eine Regierung Handelssanktionen verhängte oder gar einen Krieg erklärte, entschied sie lieber, die besten Sportler und Sportlerinnen nicht nach Olympia zu schicken. Dass dies für die der Höhepunkt ihres Lebens gewesen wäre, auf den sie mindestens vier Jahre lang hin trainiert hatten, pflegte das politische Personal zwar mit ernstem Gesicht rhetorisch zu bedauern, aber im Grunde war es ihm egal.
Wie sehr der Sport in den vergangenen Jahren an weltpolitischer Macht zugelegt hat, ist daran zu erkennen, dass es mittlerweile eine noch softere Form der sportpolitischen Sanktion gibt: Wir schicken zwar das beste Sportteam, aber wir lassen Staatspräsidenten und Ministerinnen zu Hause. Das kann man dann, wie Baerbock oder ihre Kabinettskollegin, Sportministerin Nancy Faeser, als „persönliche Entscheidungen“ verkaufen. Oder, wie die USA und Großbritannien, als „diplomatischen Boykott“, was entschlossener und politischer klingt. Aber in jedem Fall traut sich die Politik nicht mehr an die Athleten und Athletinnen ran. Der Sport ist so wichtig geworden, dass sich keine Regierung mehr wahlweise eine autoritäre Instrumentalisierung („Unsere Sportler fahren nicht!“) oder eine dümmliche Ignoranz („Nun siegt mal schön!“, Bundespräsident Theodor Heuss 1958) erlauben kann.
Für eine Demokratisierung des Sports
Das ist zunächst einmal ein großer zivilisatorischer Fortschritt: Menschen, die für ihre sportlichen Leistungen verehrt werden, dürfen nicht mehr als politische Verfügungsmasse behandelt werden. Das birgt aber zum anderen eine große Verantwortung: Einen sich als unpolitisch definierenden Sport kann es nicht mehr geben, und nicht nur das bisherige Personal, ob es Thomas Bach, Alfons-Hörmann-Nachfolger oder DFB-Präsident (N.N.) heißt, traut sich nicht, das anzuerkennen.
Auch die Sportler und Sportlerinnen werden sich nur langsam ihrer Verantwortung bewusst. Sie beginnen vielerorts erst tastend damit, die Rechte, die ihnen lange vorenthalten wurden, für sich zu reklamieren. Ganz nebenbei gesagt, sollte das mittelfristig auch dazu führen, Leute wie Thomas Bach und sein ganzes, durch nichts legitimiertes Komitee vom Hof zu jagen und den Sport nachhaltig zu demokratisieren. Eine starke Athletenbewegung gibt es noch nicht, aber es deutet doch vieles darauf hin, dass immer häufiger Sportler und Sportlerinnen ihre gesellschaftliche und ökonomische Stärke auch in politische Macht verwandeln.
Am politisch wirkungsvollsten war der Sport immer, wenn er nichts anderes als Sport war. 1954, als die DFB-Elf ganz wesentlich zur Gründung und Souveränwerdung der jungen Bundesrepublik beitrug, war aus Bonn nicht mal ein Staatssekretär ins Berner Wankdorfstadion gereist. Und, ein noch stärkeres Beispiel, als 1968 Schwarze US-Athleten und -Athletinnen protestierten, hatte nicht nur der Sport, sondern die ganze Welt etwas von dieser demokratischen und antirassistischen Selbstermächtigung.
Es geht also ohne Baerbock, ohne Biden und gegen Xi Jinping besser und auch politischer. Mögen die Spiele beginnen.
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