piwik no script img

Blutige Lippen, feuchte Kippen

Alexander Winkelmann hat während der Pandemie Neue Deutsche Welle gehört. Davon hat er sich zum Schreiben eines Pop-Albums inspirieren lassen, das raffiniert vom schnöden Berliner Alltag handelt

Von geradezu bestürzender Höflichkeit und Zuvorkommenheit: Alexander Winkelmann Foto: Thomas Gothier

Von Andreas Hartmann

Alexander Winkelmann kommt viel rum in der Stadt. In seinen Songtexten geht es um das Abhängen auf dem Tempelhofer Feld, Joggen in der Hasenheide, Baden im Liquidrom, in der Schlange stehen im Berghain. Halb Berlin wird in den Liedern seiner neuen Platte kartografiert. Raus in die Pampa zieht es ihn ausgerechnet in einer Nummer mit dem Titel „Stadt“ auch noch. Es passt gut ins Bild, dass Winkelmann in der Nähe des Tempelhofer Feldes wohnt, in Mitte arbeitet und seine Platte ausgerechnet in Marzahn aufgenommen hat.

Man trifft ihn in seinem Büro, wo er eine kleine Grafikdesignagentur mitbetreibt, gemeinsam mit Norman Palm, der ebenfalls Musiker ist, für die Platte ein paar Backing-Vocals beigesteuert und diese auch gestaltet hat. Winkelmann sagt, irgendwie habe er es nicht fertiggebracht, sein eigenes Produkt zu designen und er sei froh, dass sein Schreibtischnachbar den Job übernommen habe. Wer glücklicher Besitzer des Vinyls ist, kann erkennen, dass dieser dabei so manchen hübschen Einfall hatte. Eine frische Zitronenscheibe auf dem Etikett der Vorderseite zu zeigen, während die auf der Rückseite leicht verschimmelt ist, das kommt jedenfalls origineller daher, als bloß A und B draufzuschreiben. Dass Zitronen immer wegschimmeln, darüber klagt Winkelmann in seinem Stück „Stream“.

Vor mir sitzt jemand, der mich mit seiner Höflichkeit und Zuvorkommenheit geradezu beschämt. Er nimmt sich alle Zeit der Welt für das Gespräch, serviert Kaffee, und man kapiert schnell, warum seine Platte so heißt wie sie heißt: „Danke der Nachfrage“, diese Sentenz hört man auch während der Plauderei immer wieder von ihm. „Das ist korrekt“, ist auch eine seiner liebsten Formulierungen. Er sagt nicht “Ja sicher“, sondern „Ja sichi“, was aus seinem Mund nicht affektiert, sondern irgendwie knuffig klingt. Winkelmann macht schon länger Musik. Vor ein paar Jahren hatte er ein Projekt, das er Wellness nannte. Im dessen Rahmen trat er mal hier und mal dort auf, stellte Songs ins Internet, war eifrig bei der Sache, bis erst einmal Schluss war mit der Musik. Warum, könne er gar nicht erklären, sagt er. Vor zwei Jahren habe er aber wieder angefangen, mit seiner Gitarre herumzuspielen, dann kam Corona und er nahm sein Instrument immer öfter in die Hand und begann erneut damit, Songs zu schreiben. Was man halt so macht, wenn man wegen einer Pandemie in den eigenen vier Wänden eingesperrt ist. Und genug davon hat, vor lauter Langeweile Dinge zu tun, wie die Feuermelder in der eigenen Wohnung zu zählen, was er wohl getan hat, wenn man seinem Song mit dem Titel „Lockdown“ glauben möchte. Er hat demnach übrigens fünf von diesen Dingern in seiner Bude. So entstand „Danke der Nachfrage“, das jetzt als sein Debütalbum gilt.

Zu hören sind auf diesem sehr viele Anleihen an die Neue Deutsche Welle der frühen Achtziger. Also eher an die humorsatte Seite des deutschen Postpunks, wo Bands Namen hatten wie Bärchen & die Milchbubies, Andreas Dorau von einem Fred vom Jupiter sang, bei dem die Damen ganz wuschig werden, und die Ideen des Punk mit spielerischer Leichtigkeit und Witz durchzuckert wurden. Schrammelgitarre, Holperdipolter-Drums und Synthiessounds werden von Winkelmann mit einer feinen Popglasur versehen. Wenn man nur lange genug hinhört, dann hat ein Stück wie „Autobahn“ sogar echtes Hitpotential.

Mit seinen Texten verhält es sich dabei wie mit der Musik: Man muss mehrmals hinhören, um ihren Charme wirklich ergründen zu können. Aufstehen, durch die Stadt tigern, schlafen gehen, davon handeln sie, was erst einmal eher banal klingt. Aber die Alltagsbeschreibungen entpuppen sich bald als durchdachte Schilderungen einer Lebenswirklichkeit, die sowohl die Betroffenheitslyrik des deutschen Popmainstreams, als auch so manchen Schwurbel in der Tradition des Hamburger-Schule-Indierocks vermeiden. Was man so auf dem Tempelhofer Feld erlebt, Winkelmann fasst es in „Flugfeld“ in gekonnt naiven Reimen wie diesen zusammen: „Blutige Lippen, feuchte Kippen, Käfer fliegen, Sonnenbrände kriegen.“ In „Dinge“ wird in einfachen Aufzählungen gezeigt, wie der Kapitalismus permanent Produkte hervorbringt, die heute jeder braucht und morgen schon niemand mehr. Von der Videokassette bis zum Walkman reicht das. Und vom iphone 1 bis zum iphone 5.

„Die Texte sind nah an meiner Lebenswelt“, sagt Winkelmann, „und ich verwende in ihnen die Worte, die ich auch in meinem Alltag benutze.“ Geprägt habe ihn hierbei die amerikanische Dramaturgin Annie Baker. „In deren Theaterstücken sprechen die Leute so, wie man eben redet. Mit Ähs und Pausen während den Sätzen. Baker überführt Alltagssprache in das Theater. Das war ein Vorbild für mich.“ So kommen in seinen Texten Formulierungen vor, die nach codierter Kunstsprache klingen, für ihn aber wohl Teil seines gängigen Sprachgebrauchs sind. Da ist dann ein „Yolofant im Raum“, ihm „geht’s echt nicht well“ und nach dem Aufstehen macht er „Bubu“. Das funktioniert? Ja sichi.

Alexander Winkelmann – Danke der Nachfrage – (Martin Hossbach)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen