kritisch gesehen: Von Bremer Lokal-Sozen, echten Sauereien und ein paar irren Krawallschachteln
Von 1989 an und bis zum 1. Dezember war Eckhart Stengel Bremen-Korrespondent für diverse Zeitungen; wobei die wichtigsten sicher die Frankfurter Rundschau und der Berliner Tagesspiegel waren. Pünktlich zum Ruhestand hat er jetzt ein Buch mit einer Auswahl seiner Beiträge herausgebracht: „Bremer Rundschau“ heißt es. Ein Muss für alle 682.900 Landeskinder ist es auch jenen zu empfehlen, die irgendeine touristische oder perverse Neugier fürs Kleinstland an der Weser spüren. Denn diese Sammlung von Momentaufnahmen fügt sich am Ende zu einer Geschichte der Freien Hansestadt Bremen.
Die hat Lücken – Kultur und Sport spielen keine, Frauen überraschend selten eine Rolle. Sie beschönigt aber nichts. Das hat mit der Rolle Stengels zu tun. Denn Korrespondent*innen haben einen Vorteil gegenüber Lokaljournalist*innen: Sie gehören nie dazu. Sie müssen zwar nah ran kommen an Geschehen, Macht und Personal ihres Berichterstattungsortes, aber nicht ihren Horizont künstlich verengen. In die trutschige ach,-was haben-wir-es-hier-schön-Haltung des Heimatblatts gleiten sie nicht ab. Und sie überschätzen umgekehrt auch nicht in Erbitterung über die beteiligten eigenen Leute die Dimension eines örtlichen Skandals: Korrespondent*innen haben einen erleichterten Zugang zum Standpunkt kritischer Distanz. Sie blicken für Draußen ins Innere.
Stengel hat seine Beiträge im Original belassen, nur am Ende wird, knapp und vom Text abgehoben, jeweils der Fortgang der Geschehnisse ergänzt. Porträts – die teils mit zu wenig Biss daherkommen – erinnern an prägende Personen. Stengel hat auch Berichte über ein paar fantastische zivilgesellschaftliche Projekte aufgenommen, etwa über den Verein der 2020 verstorbenen Elsbeth Rütten, der die Krankenhausnachversorgung älterer Menschen revolutioniert hat.
Eine unbenannte Hauptfigur des Buchs ist die SPD, von der das Land geprägt ist. Das merkt man einerseits an einer haltlosen CDU, die, profilneurotisch, in Bremen immer wieder besonders irre Krawallschachteln nach vorne gestellt hat. Und man merkt’s gerade bei den echten Bremer Sauereien. Denn da hat die Partei immer ihre Finger im Spiel. Einige stimmen in ihrer spezifischen Ausprägung noch immer zornig und gehören zur Zeitgeschichte: Allen voran steht da sicher die schreckliche Geschichte vom Bremer Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz. Der Beitrag des heute so salbungsvoll präsidierenden damaligen Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu seinem Martyrium darf nicht vergessen werden.
Die meisten Schiebereien sind hingegen Bubenstücke von irgendwelchen Lokal-Sozen, die, von der Welt vergessen, als feste Größe ohnehin nur noch in obskuren Judenhasser-Foren Geltung haben, und daher nur aufs Initial abgekürzt durch die Seiten geistern. Sich so in Erinnerung zu rufen, wie zum Schreien doof einige der Akteur*innen in Bremen waren und sind, gelingt, in diesen al-fresco festgehaltenen Geschichten. Und denen verdankt Bremen ja seine Buntheit.
Benno Schirrmeister
Eckhart Stengel: Bremer Rundschau: Bremen und Bremerhaven seit 1989 aus Sicht eines Zeitungskorrespondenten, Kellner Verlag Bremen, 420 Seiten, 24,90 Euro
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